Straßenbau: Ein Blick hinter die Kulissen eines Planungsverfahrens

Im europäischen Vergleich dauern deutsche Bauprojekte im Verkehr länger als in anderen Ländern. „Das hat durchaus Gründe“, sagt Imke Halbauer vom Referat Planung beim Landesbetrieb Straßenbau NRW. Im Interview erläutert sie die Abläufe eines so genannten Planfeststellungsverfahrens.

Öffentliche und private Interessen gegeneinander abwägen

Frage: Frau Halbauer, unter dem Begriff „Planfeststellungsverfahren“ kann sich nicht jeder etwas vorstellen. Welche Maßnahmen verbergen sich dahinter?

Imke Halbauer vom Referat Planung beim Landesbetrieb Straßenbau NRW.

Imke Halbauer: Planfeststellungsverfahren sind Genehmigungsverfahren für größere Infrastrukturvorhaben, wie der Neu- und Ausbau von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen. Durch die Baumaßnahme werden viele öffentliche und private Interessen berührt, die untereinander und gegeneinander abgewogen werden müssen. In den Planfeststellungsunterlagen wird die geplante Baumaßnahme erläutert und in Plänen dargestellt. Dazu gehören detaillierte Ausweisungen im Regelungsverzeichnis und in den Grunderwerbsplänen, damit Bürger erkennen können, auf welche Weise und in welchem Umfang sie betroffen sind. Außerdem setzen wir uns intensiv mit den Umweltbelangen auseinander. Dafür werden zum Beispiel Umweltverträglichkeitsstudien, Artenschutzbeiträge oder Fachbeiträge zur Wasserrahmenrichtlinie erstellt. Verkehrsgutachten, Lärmschutzgutachten und Schadstoffberechnungen werden erarbeitet.

Daran können Sie erkennen, wie umfassend wir uns mit allen wichtigen Themen auseinandersetzen, die mit dem Projekt in Zusammenhang stehen. Das braucht natürlich Zeit. Das Besondere an einem Planfeststellungsverfahren ist die so genannte „Konzentrationswirkung“. Das bedeutet, dass mit dem Planfeststellungsbeschluss alle anderen, notwendigen Genehmigungen, etwa wasserrechtliche Erlaubnisse, naturschutzrechtliche Befreiungen, Baugenehmigungen, erteilt werden.

Frage: Wie sieht ein solches Verfahren aus?

Halbauer: Wenn alle Unterlagen fertig sind, beantragen wir die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens bei der zuständigen Bezirksregierung, die auch Planfeststellungsbehörde ist. Sie führt dann das förmliche Verwaltungsverfahren durch. Die Planfeststellungsbehörde veranlasst, dass die Planunterlagen öffentlich ausgelegt werden. Die Bürger und die Träger öffentlicher Belange können zu dem Plan Einwendungen erheben, die dann erneut einer umfassenden Abwägung unter Berücksichtigung aller Belange unterzogen werden. Falls gewichtige Gründe vorliegen, werden die Planunterlagen geändert, das heißt wir erstellen ein so genanntes Deckblatt.

Wenn alle Einwendungen von uns beantwortet wurden, lädt die Planfeststellungsbehörde zu einem öffentlichen Erörterungstermin ein. Dort werden alle Einwendungen mit den Bürgern besprochen. Die Planfeststellungsbehörde fertigt darüber eine Niederschrift erstellt und im Planfeststellungsbeschluss wird dann über die Einwendungen entschieden.

Bürger beteiligen sich intensiv

Frage: Wie lange dauert ein Planfeststellungsverfahren?

Halbauer: Das kann man so konkret nicht sagen, da es immer auf den Einzelfall ankommt. Wir setzen im Durchschnitt etwa drei Jahre an.

Frage: Das erscheint relativ lang?!

Halbauer: Die Bürger sind heute sehr kritisch und beteiligen sich in der Regel sehr intensiv. Wir haben Planfeststellungsverfahren mit bis zu 3500 Einwendungen. Oft werden auch Bürgerinitiativen gegründet, die dann eigene Gutachten erstellen lassen. Rechtsanwälte werden eingeschaltet. Die Bearbeitung der Einwendungen und Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange erfordert viel Zeit, vor allem, wenn wir noch Deckblätter erarbeiten müssen, die wiederum neue Gutachten erforderlich machen.

Erst wenn alles geklärt ist, kann die Planfeststellungsbehörde den Planfeststellungsbeschluss schreiben. Unser Ziel ist es, möglichst zu einer alle Interessen berücksichtigenden und ausgleichenden Planung zu kommen, damit der Planfeststellungsbeschluss nicht beklagt wird.

Frage: Gibt es Maßnahmen, die den Prozess beschleunigen können?

Halbauer: Wir beschäftigen uns ständig mit Beschleunigung. Wir informieren die Öffentlichkeit so frühzeitig wie möglich. Wenn wir die Menschen mitnehmen und früh wissen, was sie wollen, dann können wir das direkt in die Pläne einarbeiten. Wir hatten früher auch viele Einsprüche aus der Landwirtschaft. Heute binden wir die Landwirtschaftskammer in die Planungen mit ein – und sparen auch damit Zeit. Vor allem wenn es um Grundbesitz geht, versuchen wir zudem, mit Betroffenen zu verhandeln, um ein Gerichtsverfahren und damit weiteren Zeitverlust zu vermeiden.

Rechtsprechung kostet Zeit

Frage: Welche Rolle spielt bei all dem die Gesetzgebung?

Halbauer: Wir werden im Laufe von Verfahren immer wieder eingeholt von Gesetzesänderungen oder auch von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts oder vom Europäischen Gerichtshof. Vor allem Änderungen im Umweltrecht betreffen unsere Maßnahmen immer wieder: Wir müssen sie selbstverständlich umsetzen, oft auch dann, wenn sie bei Beginn der Planung noch gar nicht gültig waren, was bedeuten kann, dass wir unter Umständen unsere Pläne komplett ändern müssen. Das kostet Zeit und bindet Personal.

Frage: Gibt es da ein aktuelles Beispiel?

Halbauer: Das Fernstraßenausbaugesetz wurde Ende 2016 geändert, damit trat ein neuer Bedarfsplan für Autobahnen und Bundesstraßen in Kraft. Daraufhin mussten in fast allen Projekten die Verkehrsgutachten mit dem Prognosehorizont 2030 erstellt werden.

Oder nach dem Umweltrecht muss seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes über die Umweltverträglichkeit (UVPG) ein UVP-Bericht den Planfeststellungsunterlagen beigefügt werden. Und beim Thema Wasser ist gemäß Rechtsprechung nachzuweisen, ob ein geplantes Vorhaben nachteilige Veränderungen auf die Gewässerentwicklung haben kann, dafür erstellen wir jetzt einen Fachbeitrag zur Wasserrahmenrichtlinie.

Häufig müssen dann durch Ingenieurbüros neue Gutachten erstellt werden, aber die Büros kommen einfach nicht hinterher. Der Fachkräftemangel ist auch in diesem Bereich ein großes Problem.

Ziel: Alle Verfahren so schnell wie möglich abschließen

Frage: Im Februar hat der Landtag eine Änderung des Straßen- und Wegegesetzes beschlossen, der Bundestag im November letzten Jahres das Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Damit sollen unter anderem Planungsverfahren beschleunigt werden. Was erwarten Sie sich davon?

Halbauer: Was uns tatsächlich hilft, ist, dass die „Aufschiebende Wirkung“ bei Klagen gegen wichtige Landesstraßenmaßnahmen im Straßen- und Wegegesetz NRW entfallen ist. Das bedeutet, dass im Planfeststellungsbeschluss die sofortige Vollziehung angeordnet werden kann. Damit können wir bauen, ohne den Ausgang eines Klageverfahrens abwarten zu müssen. Bisher mussten wir warten, bis die Klage vor Gericht beschieden war. Beispielsweise dann, wenn ein Anwohner auf zusätzlichen Lärmschutz besteht. Dabei hängt die Baumaßnahme ja prinzipiell nicht davon ab, ob die Lärmschutzwand nun fünf Meter hoch ist oder 5,50 Meter.

Auch für die Radschnellwegeverbindungen gibt es eine Verbesserung, da aufgrund der geringen raumordnerischen Bedeutung auf ein formelles Linienabstimmungs- und -bestimmungsverfahren verzichtet werden kann. Das beschleunigt die Planung der wichtigen Radschnellwege deutlich.

Das Planungsbeschleunigungsgesetz des Bundes eröffnet für Autobahn- und Bundesstraßenplanungen die Möglichkeit, dass wir vor Planfeststellungsbeschluss schon einige Dinge im Vorfeld umsetzen können. Dazu gehören zum Beispiel bauvorbereitende Maßnahmen, etwa wenn wir schon mal Baustraßen anlegen wollen oder Kampfmittel beseitigen müssen. Auch das Herstellen von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen, sogenannte CEF-Maßnahmen, kann erleichtert werden. Oder wenn Strommasten oder Leitungen verlegt werden müssen: Wir haben schon Fälle gehabt, bei denen allein die Bestellung von neuen Leitungen neun Monate gedauert hat. Da könnte ich mir vorstellen, dass wir aufgrund des neuen Gesetzes schon mit solchen Maßnahmen beginnen können, bevor ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt.

Frage: Und wenn der Plan festgestellt ist?

Halbauer: Kann es immer noch zu Klagen kommen. Der Planfeststellungsbeschluss wird zu jedermanns Einsicht öffentlich ausgelegt. Daraufhin können Betroffene Klage erheben. Die Klagebegründungsfrist wurde im neuen Fernstraßengesetz von sechs auf zehn Wochen verlängert, ab Klageerhebung. Doch auch in diesem Fall können wir aufgrund der neuen Gesetzeslage schon mit bauvorbereitenden Maßnahmen beginnen. Unser Ziel ist es, alle Verfahren unter Abwägung aller Belange so schnell wie möglich abzuschließen, damit notwendige Baumaßnahmen nicht unnötig lange hinausgezögert werden.

Quelle: Pressemitteilung von Straßen.NRW, Regionalniederlassung Südwestfalen

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