Mit untauglichen Mitteln die Krise bewältigen

„Weniger arbeiten – mehr verdienen“, das ist auf eine kurze Formel gebracht das Rezept der IG Metall, mit dem die Gewerkschaft Arbeitsplätze und Beschäftigung in der größten Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik sichern will. Gestern hat der Vorstand der IG Metall in Frankfurt seine Forderungsempfehlung für die Tarifrunde 2021 in der Metall- und Elektroindustrie bekannt gegeben mit genau dieser Grundaussage. Konkret will die Gewerkschaft für die mehr als 3,8 Millionen Beschäftigten, von denen derzeit ein Großteil in Kurzarbeit ist, „zur Stärkung der Einkommen und für die Finanzierung der Beschäftigungssicherung ein Volumen von bis zu 4 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten“ fordern. Hinzu kommt außerdem die Forderung nach einer 4-Tage-Woche mit Teillohnausgleich.

Der IG Metall-Vorstand begründet Höhe und Struktur seiner Forderungsempfehlung mit den „wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den erkennbaren Auswirkungen der aktuellen Krise auf die Beschäftigung“. „Der verteilungsneutrale Spielraum für eine Entgeltforderung ergibt sich aus einer Trendproduktivität von ca. 1 Prozent und der Zielinflationsrate der EZB von bis zu 2 Prozent.“ „Weiter ist zu berücksichtigen“, so der IG Metall-Vorstand, „dass die Entgelttabellen im März 2020 um weitere neun Monate fortgeschrieben wurden und damit die Inflationsentwicklung 2020 keine Berücksichtigung fand.“

Da stellt sich zunächst einmal die Frage, was ist eigentlich eine Trendproduktivität und was eine Zielinflationsrate? Beides sind letztlich nur Erwartungen, ohne konkreten Bezug zur Realität. Hier ist quasi der Wunsch der Vater des Gedanken. Tatsächlich ist die Produktivität coronabedingt in diesem Jahr deutlich zurückgegangen. Das liegt auch daran, dass sich 63 Prozent der Betriebe mit 68 Prozent der Beschäftigten in Kurzarbeit befinden. Dies dürfte auch noch eine ganze Weile so bleiben. Ein kurzfristiger Rückgang ist nicht zu erwarten. Die Kapazitätsauslastung der Betriebe liegt nur noch bei 76 Prozent. Normal sind eigentlich 85 Prozent. Der Umsatzrückgang liegt im Schnitt zwischen 20 und knapp 30 Prozent.

Neben der Trendproduktivität argumentiert der IG Metall-Vorstand auch mit der Zielinflation der Europäischen Zentralbank. Die liegt gewünscht bei zwei Prozent. Aktuell beträgt sie in Deutschland allerdings -0,2 Prozent. Seit Februar 2020 ist die Inflationsrate kontinuierlich zurückgegangen. Beide Argumente, Produktivität und Inflation, taugen also nicht als Begründung für die Volumenforderung von bis zu 4 Prozent.

Darüber hinaus möchte die Gewerkschaft in der kommenden Tarifrunde „einen tariflichen Rahmen für optionale Modelle der Arbeitszeitabsenkung wie die 4-Tage-Woche mit Teillohnausgleich und Zukunftstarifverträge“ schaffen. Abgesehen davon, dass es bereits Modelle und Regelungen zur Reduzierung von Arbeitszeiten in krisenbetroffenen Unternehmen gibt, kann eine solche Arbeitszeitabsenkung auf Betriebs- und Unternehmensebene durchaus ein sinnvolles Mittel sein, allerdings nur im Einzelfall und, wie die IG Metall selber anmerkt: optional. Das funktioniert aber nur, wenn die Entgelte entsprechend sinken und damit auch Kosten verringert werden können. Arbeit zu verteuern ist sicherlich kein praktikabler Weg, um Beschäftigung in der Krise zu sichern. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Die Gewerkschaft argumentiert, dass eine Arbeitszeitverkürzung gleichzeitig zu einer Produktivitätssteigerung führen würde. Diese Auffassung hat sie aber ziemlich exklusiv. Schon seit Jahren beklagt sie ja die Zunahme einer gesundheitsgefährdenden Arbeitsverdichtung. Eine 4-Tage-Woche würde die Arbeitsverdichtung weiter verstärken. Das passt so nicht zusammen.

Insgesamt geht die Forderungsempfehlung des IG Metall-Vorstand weit an der Realität vorbei. Die Folgen der Corona-Pandemie haben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Metall- und Elektroindustrie auch in Siegen-Wittgenstein auf einen langen Zeitraum gravierend verändert. Es wird dauern, bis die Unternehmen die daraus resultierenden Verluste kompensiert haben. Zwar zeigen sich erste Besserungstendenzen, aber die Risiken bleiben auch 2021 hoch. Die Sozialpartner sollten deshalb alles tun, um die Auswirkungen des größten Wirtschaftseinbruchs in der Geschichte dieses Landes so gering wie möglich zu halten. Wenn dies geschafft ist, kann auch wieder über Entgeltsteigerungen und anderes verhandelt werden, vorher jedoch nicht.

Ho

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