Die Pandemie kennt keinen Verteilungsspielraum

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Die IG Metall geht mit einem Forderungsvolumen von vier Prozent in die anstehende Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie. Sie begründet ihre Forderung mit dem Inflationsausgleich, einer Umverteilungskomponente und einer Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt. Doch angesichts der hohen Unsicherheit in der Coronakrise ist diese Lohnformel unangebracht. Stattdessen müssen die Betriebe entlastet werden, um möglichst viele Beschäftigte halten zu können.

Vier Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten – die IG Metall schlägt vor, dieses Volumen entweder in höhere Tariflöhne zu stecken oder eine Vier-Tage-Woche mit Teillohnausgleich zu finanzieren. Es stimmt, dass eine Vier-Tage-Woche notleidenden Betrieben helfen kann, um auf leere Auftragsbücher zu reagieren. Für diese Option wurden schon 1994 Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung vereinbart, die keinen Lohnausgleich vorsehen. Doch die IG Metall hat diese Verträge gekündigt, weil sie einen Teillohnausgleich durchsetzen will. Ein solcher würde allerdings nur die Arbeitskosten je Stunde verteuern und Liquidität kosten. Viele Betriebe würden auf das flexible Instrument dann eher ganz verzichten. Damit würden Arbeitsplätze gefährdet.

Das geforderte Volumen von vier Prozent wirkt angesichts der derzeitigen Lage der Metall- und Elektroindustrie in der Pandemie weltfremd. Zwar liegt die Forderung unter dem sonst üblichen Korridor von fünf bis acht Prozent. Die Begründung weckt allerdings starke Zweifel, ob die IG Metall ökonomisch gut beraten war. Denn die geforderten vier Prozent begründet die Gewerkschaft so: Zwei Prozent müssten die Löhne steigen, um die Inflation auszugleichen, die gemäß des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) bei zwei Prozent lägen. Jeweils ein Prozent müssten obendrauf kommen für die gestiegene Produktivität und für die sogenannte Umverteilungskomponente, also als Ausgleich dafür, dass die letzte Tabellenanhebung aus 2018 datiert.

Abgesehen davon, dass die Inflation derzeit und auch in den Prognosen für 2021 klar unter dem EZB-Zielwert liegt und die Preisüberwälzungsmöglichkeiten der Betriebe auf den lebensnotwendigen Exportmärkten außer Acht lässt, mutet auch die geforderte Produktivitätskomponente optimistisch an. Tatsächlich stagniert die Stundenproduktivität seit 2018. Wie stark die Erholung 2021 ausfallen wird, ist derzeit unsicher.

Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Firmen in der Metall- und Elektroindustrie rote Zahlen schreibt, ist ein Abschluss mit Augenmaß angebracht. Dabei geht es vor allem darum, Insolvenzen zu vermeiden und Beschäftigung zu sichern. Selbst eine Nullrunde würde vielen Betrieben in der aktuellen Krise kaum helfen. Sie brauchen finanzielle Entlastungen. Dazu reicht es nicht, im Wege von Ergänzungstarifverträgen langwierig nach Einzellösungen zu suchen. In der derzeitigen Situation wären tarifvertragliche Rahmenbedingungen hilfreich, die den Betrieben schnell und unbürokratisch helfen, ihre Lohnkosten im Krisenfall abzusenken. Es mag bitter klingen, aber die Pandemie kennt keinen Verteilungsspielraum.

Dr. Hagen Lesch, Leiter des Kompetenzfelds Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

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