Was Europa für die NRW-Wirtschaft bedeutet

Von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Die kommende Europawahl ist die spannendste, die es bislang gab. Das liegt aber leider nicht in erster Linie daran, dass unterschiedliche Zukunftskonzepte gegeneinander antreten und die Parteien konstruktiv über die Ausrichtung einer gemeinsamen Finanz-, Wirtschafts-, Forschungs-, Außen- und Klima-/Energiepolitik streiten. Der Grund für die Spannung liegt vor allem darin, dass sich alle fragen, wie viele Europagegner künftig im Europaparlament sitzen – mit dem erklärten Ziel, die EU von innen zu schwächen., unterstreicht Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, im NRW-Wirtschaftsblog „Klartext im Westen“.

Die Entwicklung bekümmert mich als Anhänger der europäischen Idee, die unserem Kontinent eine nie zuvor dagewesene Friedens- und Wohlstandsperiode gebracht hat. Sie besorgt mich aber auch als Wirtschaftsminister eines Bundeslandes, das wie kaum eine andere Region in Europa vom Binnenmarkt profitiert. Der freie Handel und der freie Warenverkehr sind mit einem politisch starken, einigen Europa untrennbar verbunden. Es wäre naiv zu glauben, dass man Wirtschaftsbeziehungen von anderen politischen Fragen in Europa einfach abkoppeln kann. Diese Erkenntnis dämmert derzeit auch den Briten.

Zwei Drittel der industriellen Exportgüter gehen in die EU

Nordrhein-Westfalen wäre ohne die Europäische Union und ihren Binnenmarkt nicht da, wo es heute steht. Unsere Industrie verdient fast jeden zweiten Euro im Ausland. Von ihren Exporten gehen nahezu zwei Drittel in ein EU-Land. Die Bedeutung des Binnenmarkts für das produzierende Gewerbe in Nordrhein-Westfalen nimmt sogar noch zu. 2012 hatte die EU für die NRW-Industrie im Exportgeschäft einen Anteil von 61,9 Prozent, inzwischen sind es 65,7 Prozent. Ähnlich wichtig ist der EU-Binnenmarkt für den Export von Dienstleistungen. Der Grad an internationaler Verflechtung unserer Unternehmen wächst beständig.

Diese Verflechtung wäre ohne ein einiges Europa zwar nicht unmöglich. Aber der Binnenmarkt macht den internationalen Handel einfacher, schneller und ertragreicher. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat kürzlich berechnet, dass jeder Deutsche durchschnittlich 1.046 Euro seines jährlichen Einkommens dem EU-Binnenmarkt zu verdanken hat. Auf 18,6 Milliarden Euro belaufen sich allein die Einkommensgewinne in Nordrhein-Westfalen. Insbesondere die Regierungsbezirke Köln (1.172 Euro) und Düsseldorf (1.143 Euro) liegen bei den Pro-Kopf-Einkommensgewinnen deutlich über Bundesdurchschnitt. Mit anderen Worten: Der freie Warenverkehr macht uns wohlhabender, Nationalismus und Protektionismus machen uns ärmer.

Der EU-Binnenmarkt macht den Kuchen größer – für alle

Welches Ergebnis mich in der Studie besonders gefreut hat, ist der Befund, dass alle gewinnen. Zwar profitieren industrie- und exportstarke Regionen wie Nordrhein-Westfalen besonders vom Binnenmarkt, ein sattes Plus verzeichnen jedoch auch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Und auf europäischer Ebene profitieren Luxemburg und die Niederlande zwar erheblich stärker als Bulgarien und Rumänien, doch trotzdem sind am Ende alle Gewinner. Europa macht den Kuchen insgesamt größer, und deshalb bekommt jeder ein größeres Stück, als er ohne vereintes Europa bekäme.

Gemeinsam sind wir Europäer stärker als jeder für sich allein. Wer glaubt, Deutschland sei in einer so privilegierten Position, dass Einzeldeals besser für uns wären, als gemeinsam eine starke Verhandlungsposition zu schaffen, dem sei ein Blick nach Großbritannien empfohlen. Die britische Wirtschaft verliert schon an Bedeutung, da ist der Brexit noch gar nicht vollzogen. Die nordrhein-westfälischen Exporte ins Vereinigte Königreich sanken im vergangenen Jahr um 15,6 Prozent. Allein die Aussicht auf Einschränkung des zollfreien Warenverkehrs sorgt neben der Pfundschwäche für eine Eintrübung der Wirtschaftsbeziehungen.

Ironischerweise haben einige der Regionen in Großbritannien, die am stärksten vom Binnenmarkt profitieren, am deutlichsten für einen Austritt aus der EU votiert. Dieses Abstimmungsverhalten lässt sich auf verschiedene Arten interpretieren. Eines allerdings lässt sich festhalten: Wer in einer volkswirtschaftlichen Betrachtung zu dem Schluss kommt, sein eigenes Land zahle unverhältnismäßig viel in EU-Kassen ein, sollte sich zugleich sehr gut anschauen, wie stark sein Land vom Binnenmarkt profitiert.

Wirtschaftlicher Erfolg als Grundvoraussetzung

Selbstverständlich ist Europa mehr als freier Dienstleistungs- und Warenverkehr. So wie sich Wohlstand nicht nur an makroökonomischen Kennziffern misst, deren Pro-Kopf-Durchschnittswerte ja auch nur ein Hilfsmittel sind, um ihre Bedeutung etwas greifbarer zu machen. Doch der berühmt gewordene Satz „It’s the economy, stupid!“ aus Bill Clintons Wahlkampf ist nach wie vor gültig. Ohne wirtschaftlichen Erfolg wird es schwer, all unsere anderen gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern.

Deshalb erhoffe ich mir von den Europawahlen ein starkes Zeichen für unsere heimische Wirtschaft, dass der größte Absatzmarkt für ihre Exportgüter stabil und verlässlich bleibt. Und ein Zeichen an die Welt, dass Europa sich darüber bewusst ist: Seine Kraft steigt weltweit mit seiner Einigkeit.

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