Regionaler Lehrstellenmarkt gibt leicht nach

Die regionale Wirtschaft wird 2013 das außerordentlich hohe Ausbildungsniveau der letzten beiden Jahre nicht ganz halten können. Die Halbjahresbilanz bei den Ausbildungsverträgen in den zugehörigen Unternehmen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen weist mit 1429 Vertragsabschlüssen einen Rückgang von 5 Prozent aus. Die Entwicklung vollzieht sich in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe nahezu gleichförmig. Die Rückgänge sind nicht in erster Linie demografisch bedingt, wenngleich es etliche Unternehmen gibt, die über zu wenig geeignete Bewerber berichten. Der doppelte Abiturjahrgang wirkt sich auf die Marktlage so gut wie überhaupt nicht aus. Mit diesen Aussagen bilanzierten IHK-Hauptgeschäftsführer Franz J. Mockenhaupt und der für die berufliche Bildung in der Kammer verantwortliche Geschäftsführer Klaus Gräbener rund acht Wochen vor dem offiziellen Beginn des neuen Ausbildungsjahres die aktuelle Lehrstellenlage.

In Siegen-Wittgenstein wurden in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 940 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Der Rückgang beträgt hier aktuell 5,6 Prozent. Im Kreis Olpe waren es demgegenüber 489 Ausbildungsverträge. Hier liegt der Rückgang momentan „lediglich“ bei 3,7 Prozent. Dass die im Vergleich zu den Vorjahren in der Tendenz eher verhaltenen konjunkturellen Erwartungen maßgeblich für die Gesamtentwicklung verantwortlich seien, machte IHK-Hauptgeschäftsführer Franz J. Mockenhaupt deutlich: „Erstmals seit gut drei Jahren überlagern die konjunkturellen Erwartungen in sehr vielen Unternehmen wieder die nach wie vor gegebene Erkenntnis, dass sich der Rückgang der Lehrstellenbewerber schon in kurzer Zeit zu einem erheblichen strukturpolitischen Problem auswachsen wird. Zwar wissen die Unternehmen, dass schon in wenigen Jahren der Arbeitsmarkt so gut wie leergefegt sein wird, andererseits bestehen unleugbare Unsicherheiten, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung angeht.“ Diese Unsicherheiten hätten dazu geführt, dass sehr viele einzelne Unternehmen eine tendenziell vorsichtigere Einstellungspolitik verfolgten. Hinzu komme, dass die Unternehmen, die „nahe am Stahl“ tätig seien, ihr Engagement aus verständlichen Gründen teilweise drastisch reduziert hätten. In der Breite der Industrie habe man zudem in den vergangenen drei Jahren bei den Lehrverträgen verhältnismäßig kräftig zugelangt. Diese „Ausbildung über Bedarf“ nehme man nun im Lichte der unsicheren Konjunktur wieder zurück und stutze die Einstellungen „auf Normalmaß“.

Deutlich erkennbar sei, dass sich die Rückgänge im Wesentlichen auf die kaufmännischen Ausbildungsberufe bezögen, betonte IHK-Geschäftsführer Klaus Gräbener: „Während das Ausbildungsniveau in der Fertigung von ungewöhnlich hohem Niveau aus mit rund 2 Prozent nur leicht sinkt, verzeichnen wir bei den kaufmännischen Berufen einen Rückgang von rund 8 Prozent, der in Siegen-Wittgenstein noch ausgeprägter ist als im Kreis Olpe. Dies verdeutlicht auch, dass der doppelte Abiturjahrgang für den regionalen Lehrstellenmarkt so gut wie keine Rolle spielt.“ Der Anteil junger Menschen mit Fachhochschul- oder Hochschulreife, der einen Lehrvertrag abschließt, stagniere. Hierin komme auch ein Strukturproblem zum Ausdruck, dem die betriebliche Erstausbildung in den kommenden Jahren noch sehr viel stärker als bisher ausgesetzt sein werde. Einerseits steige nach wie vor der Anteil derjenigen Personen, die weder beschäftigungs- noch ausbildungsreif seien. Andererseits strebe ein immer größerer Anteil der Schülerinnen und Schüler das Abitur an und betrachte ein anschließendes Studium als „normal“. Klaus Gräbener: „Es gibt immer mehr junge Menschen, die meinen, nach Abitur und Studium den Marschallstab im Tornister zu haben. Sie räumen der Hochschulausbildung den Vorrang vor  einer betrieblichen Ausbildung ein. Dies ist aus unserer Sicht eine außerordentlich bedenkliche Gesamtentwicklung.“

Auch wenn die Lehrstellenbilanz im laufenden Jahr schlechter ausfallen werde als noch zu Jahresbeginn erhofft, müsse man allerdings auch die Lehrstellenzahlen im längerfristigen Vergleich betrachten, betonte Franz J. Mockenhaupt: „In den 1990er Jahren wurden jahresdurchschnittlich zwischen 1700 und 1900 Lehrverträge abgeschlossen. Wenn es in diesem Jahr „lediglich“ 2200 würden, ist dies immer noch eine beeindruckende Gesamtzahl. Wir stellen einen Rückgang fest, der sich von einem außerordentlich hohen Niveau aus vollzieht. Das darf nicht vergessen werden.“ Auf eine exakte Prognose für das Jahresendergebnis wollte sich der IHK-Hauptgeschäftsführer dennoch nicht festlegen lassen. Dies hänge in erster Linie davon ab, ob sich die Zahlen der Industrie auf dem gegebenen Niveau stabilisierten und der Handel und das Gastgewerbe als diejenigen Wirtschaftsbereiche mit den derzeit größten Einbrüchen (rund 20 Prozent) in den kommenden drei Monaten noch zur gewohnten Form fänden. Dies jedoch sei alles andere als sicher.

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