Gender Pay Gap: Genauer Blick lohnt

Dr. Thorsten Doublet

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, das einer Arbeitnehmerin Sachen gleicher Bezahlung Recht gibt, hat in vielerlei Hinsicht Reaktionen ausgelöst (Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21). Während einige Arbeitnehmervertreter schon eine „Überprüfungswelle“ von Arbeitsverträgen kommen sehen und im großen Stil Morgenluft wittern, kritisiert manch Arbeitgebervertreter die überbordende Bürokratie, die auch an dieser Stelle nun wieder zuschlägt. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Denn sicher würde jeder dem Ruf nach „gleichem Lohn für gleiche Arbeit“ grundsätzlich zustimmen. Doch wie so oft liegt der Teufel doch im Detail.

Vergleich oftmals schwierig

Wie sollen außer in einer Produktion, in der womöglich zwei Arbeitnehmer(innen) ein und dieselbe Aufgabenstellung an ein und demselben Arbeitsplatz haben, Arbeit und Leistung miteinander verglichen werden? Wie fließen, besonders in „nicht-produzierenden“ Tätigkeiten (Konstruktion, kaufmännische oder kreative Berufe etc.), Aspekte mit ein, die man nicht allein an Kennzahlen messen kann? Wie fließen Kreativität, der Wille zur Verbesserung von Prozessen und Abläufen oder besonders fehlerfreies Arbeiten in eine Bewertung mit ein? Im Fall einer Montagetätigkeit kann man zweifelsfrei nachweisen, welcher Arbeitnehmer (oder welche Arbeitnehmerin) in einer bestimmten Zeit wieviel „Output“ hat. Diesen Output aber in anderen Tätigkeiten, nämlich den oben beschriebenen, anhand objektiver Kriterien zu bemessen, erscheint mir schwierig, ja beinahe unmöglich. Und da zeigt sich auch wieder, wie sehr ein solches Urteil vorbeigeht an der Praxis in den Betrieben. Man kann Arbeitskraft und Leistung nicht am Reißbrett planen. Unsere Industrie und somit unser Land haben auch immer von Erfindergeist und dem Willen zur Verbesserung gelebt. Beide Attribute stehen konträr zu planwirtschaftlichen Vorstellungen.

In der Praxis hat die manchmal unterschiedliche und auf den ersten Blick ungerecht wirkende Bezahlung von Mann und Frau oft doch auch Ursachen, die eben nicht die Unternehmen, sondern Politik und Gesellschaft zu verantworten haben. Denn noch immer sind die Erwerbsbiografien der beiden Geschlechter oftmals unterschiedlich. Noch immer müssen Familien um Kita-Plätze kämpfen. Und noch immer führt das immer wieder auch dazu, dass der weibliche Part in einer Familie länger zuhause bleiben oder Teilzeit arbeiten muss, als es beiden Partnern lieb wäre.

Dabei sind die Arbeitgeber auf mehr Fachkräfte angewiesen. Die Unternehmer, die tausende Stellen derzeit nicht besetzen können, wissen nur zu gut, dass es wenige Hebel gibt, mit denen man der alternden Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt entgegentreten kann. Da sind Langzeitarbeitslose oder schlecht qualifizierte Schulabbrecher, die wir in Lohn und Brot bringen sollten – wohl wissend um die vielen Schwierigkeiten im Alltag. Ein zweiter Hebel ist die Schaffung von Anreizen, um qualifizierte Zuwanderer für die Bundesrepublik begeistern zu können. Und die dritte Möglichkeit ist eben die Reduzierung von Teilzeitarbeit bei Frauen. Wir brauchen jede Frau und jeden Mann in Lohn und Brot, um im internationalen Wettbewerb weiter konkurrenzfähig sein zu können.

MINT-Berufe: Frauen auf dem Vormarsch

Die jahrelangen Bemühungen der Arbeitgeberverbände, ihrer Unternehmen und anderer Institutionen tragen Früchte: MINToring, Miniphänomenta, M+E-Truck, der Aufwand, der in der Industrie allgemein mittlerweile in die Ausbildung gesteckt wird, und vieles mehr haben dazu geführt, dass der Anteil der Frauen in MINT-Berufen stetig bergauf geht. Laut MINT-Herbstreport 2022 des Instituts der Deutschen Wirtschaft ist der Anteil der Frauen in MINT-Facharbeiterberufen im Vergleich von 2012 zu 2022 immerhin von 13 auf 14 Prozent gestiegen. Wesentlich erfreulicher: der Anteil von Frauen in Ingenieurberufen ist im gleichen Zeitraum von 15,1 auf 19,4 Prozent nach oben geschnellt.

Da wären die Unternehmen doch nun mit dem Klammerbeutel gepudert, Frauen bei gleicher Leistung schlechter zu bezahlen als ihre männlichen Kollegen. Abprüfbare Bewertungskriterien für eine Eingruppierung, die bei vielen Unternehmen mittlerweile zum Standard gehören, tun ihr Übriges. Und wenn Arbeitskräfte knapper werden, entscheidet auch hier der Markt, ergo der Preis (der freilich nicht nur aus Euro und Cent, sondern aus vielen anderen Benefits zusammengesetzt ist). Das lässt sich eins zu eins auf das Gender Pay Gap übertragen: Stellen Frauen fest, dass die Gleichbehandlung in manchen Unternehmen besser gelingt, als in anderen, ist die Entscheidung für oder gegen einen Arbeitgeber im Zweifel schnell getroffen.

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