Ausbildung statt Bildungsaus bei EJOT

Ausbildung mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz: Der Ausbilder Lukas Brune (li.) erklärt dem Auszubildenden Hendrik Schuppener die Funktionsweise eines Mehrstufenumform-Werkzeugs.

Die Berufsschule wird geschlossen. Die überbetrieblichen Lehrwerkstätten und Universitäten ebenfalls. Im Unternehmen ist über mehrere Monate Kurzarbeit, viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Homeoffice. Die Produktionshallen und Büros sind zeitweise menschenleer. Was passiert jetzt mit über 100 Auszubildenden und Dualen Studierenden, die zu Hause sitzen?

Die Corona-Pandemie hat vieles verändert oder auch stillgesetzt. Was sich jedoch nicht verändert hat, ist die Gesamtzeit der Ausbildung: „Wir haben trotzdem nur dreieinhalb Jahre Zeit, um die Ausbildungsinhalte zu vermitteln“, sagt Andreas Kurth, Leiter Ausbildung und Studium bei EJOT. Und was sich ebenfalls nicht verändert hat, ist das Wissen, das sich die jungen Menschen in ihrer Ausbildung oder im Studium aneignen müssen, wenn sie am Ende ihre Abschlussprüfung oder das Examen bestehen wollen. „Das ist ein ganz entscheidender Punkt, den wir jetzt seit einigen Monaten vor uns hertreiben,“ beschreibt Kurth die schwierige Situation. Durch Corona wurden alle bewährten Verfahren, Prozesse und Ideen hinfällig.

Um diese Herausforderung zu bewältigen, ist nicht nur Flexibilität gefragt, sondern auch persönliches Engagement, das über das Normalmaß des Arbeitsalltags weit hinausgeht. Es muss weitergehen. „Wir können uns jetzt nicht Wochen und Monate mit Stillstand beschäftigen,“ macht Kurth deutlich.

Schnell und flexibel musste reagiert werden: Als Schulen und Lehrwerkstätten im ersten Lockdown geschlossen wurden, hat das Ausbilderteam der EJOT Lernwerkstatt gemeinsam mit dem Cornelsen-Verlag innerhalb von einigen Tagen die Onlineplattform „eCademy“ installiert. Jeder Auszubildende hat einen eigenen Zugang und findet dort anhand der Schulpläne und des Curriculums Lerneinheiten. Genutzt werden kann in dieser Lernplattform auch ein Mathetraining oder ein Training zur Prüfungsvorbereitung. Die Ausbilder können individuelle Lernpakete zuweisen und digitale Hausaufgaben geben. Im Tagesablauf sieht das dann so aus, dass in der EJOT Lernwerkstatt Auszubildende in kleinen Gruppen im Praxisbetrieb unter Corona-Vorgaben betreut werden und gleichzeitig eine Gruppe im Homeschooling.

Eine Lernplattform einzurichten ist das eine, die praktische Umsetzung mit den Auszubildenden ist eine ungleich größere Herausforderung: „Das ist eine Mammutaufgabe,“ betont Helmut Zacharias, Leiter der Lernwerkstatt am Standort Herrenwiese in Bad Berleburg. Die Auszubildenden müssen im Homeschooling zu einer Struktur finden oder sind unglücklich, weil sie es nicht hinbekommen. Einfach mal ein paar Aufgaben verteilen und sagen, macht das heute mal – damit ist es bei weitem nicht getan.

„Wir haben schnell das Early-Bird-Meeting eingeführt, eine Videokonferenz über Microsoft TEAMS: Digitaler Arbeitsbeginn morgens um 8 Uhr. Neuigkeiten aus dem Unternehmen und Informationen zu Corona wurden in „Jugendsprache“ übersetzt und weitergegeben. Die allgemeine Nachrichtenlage wird ebenso erörtert wie ein Corona-Tagesthema, das bearbeitet werden muss. Am nächsten Morgen hält ein Azubi dazu einen Kurzvortrag. Dabei geht es auch darum, die jungen Leute beim Thema Corona für Fake-News zu sensibilisieren. Durchgesprochen wird auch der Unterrichtsstoff aus der Berufsschule. „An den Tagen, wo keine Berufsschule war, haben wir den Auszubildenden Lernpakete über unsere Lernplattform bereitgestellt,“ so Helmut Zacharias. Und am Ende des Meetings steht immer ein kurzes virtuelles Spiel. „Das ist wichtig, um auch etwas Menschliches, etwas Spaß in die Kommunikation zu bringen,“ so Zacharias. Das hat erst einmal recht gut funktioniert.

Schnell hat sich jedoch herausgestellt, das Early-Bird-Meeting reicht nicht aus. Die Betreuungsintensität ist viel zu gering: „Mittlerweile machen wir ein weiteres Meeting zum Ende des Arbeitstages und optional auch mittags,“ sagt Ausbilder Lukas Brune. Und Fragen können den ganzen Tag über gestellt werden.

Die Disziplin ist im Laufe des Jahres sehr gut geworden: Kamera an, Mikrofon aus, alle sitzen pünktlich am Computer. Aber auch da gab es technische Hürden: Nicht jeder Azubi hat zu Hause einen Computer oder einen Laptop, sondern versucht vergeblich mit dem Smartphone auf der Lernplattform zu arbeiten. Nicht überall existieren tragfähige Internetverbindungen oder nicht jeder PC hat eine Kamera oder ein Mikrofon. Die komplette Kommunikation läuft über private Endgeräte. Es kommt auch vor, dass sich der EJOT Azubi zu Hause im Homeschooling mit seinen drei Geschwistern einen PC teilen muss und kein eigenes Zimmer zum Bearbeiten der Aufgaben hat. „Das sind Punkte, die wir zunächst gar nicht auf dem Schirm hatten,“ sagt Andreas Kurth. Hier ist es notwendig, permanent hinterher zu sein, dass alle mitkommen und die Schwächeren nicht auf der Strecke bleiben.

Apropos Kommunikation: Eine Erkenntnis aus der Corona-Pandemie ist die Notwendigkeit, die Auszubildenden auf einer digitalen Plattform des Unternehmens einzubinden. „Hier gibt es bereits konkrete Planungen für die schnelle Umsetzung,“ gibt Andreas Fey, bei EJOT zuständig für Digitalisierungsprojekte, zu erkennen. Die Krise ist auch hier ein wichtiger Impuls und Beschleuniger für Veränderungen,“ betont Fey.

Mittlerweile haben die Auszubildenden den Ernst der Lage erkannt. Nach anderthalb Jahren steht für die meisten bereits der erste Teil der Abschlussprüfung an, dessen Ergebnis zu 40 Prozent in die Abschlussnote einfließt. Zu Hause am PC ausruhen, ist nicht angesagt. Die Eigenverantwortung ist gewachsen. Das bestätigt auch Patrick Herms, der kurz vor Abschluss seiner Ausbildung zum Informatikkaufmann steht. Seit einem Jahr arbeitet er in enger Abstimmung mit seinen Ausbildern fast durchgehend im Homeoffice und kommt ganz gut damit klar. Und die Abschlussprüfung? „Die wird anspruchsvoll,“ sagt der 23-Jährige voller Respekt. Beim Homeschooling mit seiner Berufsschule sieht er durchaus noch Luft nach oben: „Morgens um 7.30 Uhr zum Schulbeginn ohne Arbeitsaufgabe an die Arbeit zu gehen, erfordert schon sehr viel Flexibilität,“ sagt er vielsagend.

„Bei aller Flexibilität, digitale Tools können Präsenz, wie wir sie kennen und schätzen, nicht vollständig ersetzen,“ betont Andreas Kurth. Das gilt auch für die Berufsorientierung. Seit einem Jahr können keine Praktika im Unternehmen durchgeführt werden. Dieses Bauchgefühl, was für den Bewerber wichtig ist und für das Unternehmen auch, dieses Bauchgefühl fehlt: Gefällt es mir dort? Wie sind die Arbeitskollegen? Wie sieht es da aus? Aber vor allen Dingen fehlt das Selbermachen im Praktikum. Einem kompletten Jahrgang ist damit die Möglichkeit einer praxisorientierten Berufsorientierung genommen. „Wir haben ein so umfangreiches Maßnahmenprogramm von Praktika, Berufsfelderkundungstagen, Potenzialanalysen, Girls Day, freiwillige Praktika in den Ferien, Tag der Ausbildung, Messen oder Ausbildungsbotschafter in den Schulen – alles ist weggefallen,“ so Kurth weiter. Das können Zeitungsanzeigen und Social-Media-Kanäle nicht ersetzen. „Dieses ‚komm zu uns und wir bieten dir drei Wochen ein tolles Programm, nehmen dich an die Hand und erklären dir mit Herzblut, was wir hier machen‘, das fehlt auch uns.“

Auch die Dualen Studenten lernen mit der neuen Situation umzugehen. „Große Flexibilität, höhere Eigenständigkeit und durchaus auch Vorteile,“ wie Maschinenbaustudent Moritz Kuhly es auf den Punkt bringt. Vorlesungen sind jederzeit im Internet abrufbar. Die Fahrt zur Uni entfällt, das bringt Zeitgewinn. Unübersichtlich wird es freilich, wenn jeder Professor und Dozent seine Studienunterlagen auf einer anderen Plattform platziert. „Dafür habe ich mir eine Excel-Tabelle angelegt, um nicht vollends den Überblick zu verlieren.“ Und die Online-Klausuren, die haben es zum Teil in sich: 60 Aufgaben in 60 Minuten und keinesfalls nur Multiple-Choice-Fragen. „Da läuft die Uhr gnadenlos,“ lacht Kuhly. Das letzte Mal war er im September an der Uni. Keine Erstsemesterfeier, kein Bier in der Kneipe mit den Kommilitonen. Das fehlt uns allen.

Text und Foto: EJOT Holding GmbH & Co. KG / Andreas Wolf

Ausbildung ist wichtig, auch in Pandemiezeiten. Viele Unternehmen in unserer Region sehen das genauso. Schließlich benötigen sie auch in Zukunft qualifizierte Fachkräfte. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen für die Ausbildung durch die Einschränkungen der Pandemie deutlich verändert. Gleiches betrifft auch die Jugendlichen, die an einer gewerblich-technischen oder kaufmännischen Ausbildung interessiert sind. Praktika können nicht mehr stattfinden. Die Ausbildungsmessen in Bad Berleburg, Siegen und Olpe werden in diesem Jahr nur virtuell durchgeführt.

Vor diesem Hintergrund möchten wir unter der Überschrift „Gute Beispiele für Ausbildung in der Pandemie“ über gelungene Modelle und Lösungen berichten und damit einen Beitrag leisten, um jungen Menschen eine Ausbildung in der heimischen Industrie näher zu bringen und die Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern zu unterstützen. Wenn Sie solche guten Beispiele kennen oder im Unternehmen umsetzen, wären wir für eine entsprechende Information dankbar. Schicken Sie einfach eine Nachricht an: redaktion@arbeitgeberverbaende.de

Vielen Dank

Ihre Redaktion von Wirtschaft regional

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