Mensch und Digitalisierung standen im Mittelpunkt

Moderatorin Dr. Christine Tretow sprach mit den Teilnehmern der Podiumsdiskussion über die Auswirkungen der Digitalisierung.

Wie berührt uns die Digitalisierung? Diese Frage interessierte die rund 140 Gäste des Jahresempfangs der Wirtschaftsjunioren Südwestfalen, denn die technologische Entwicklung führt zu tiefgreifenden Veränderungen. Ähnlich wie bei der ersten industriellen Revolution werden sich die Arbeitsprozesse komplett verändern. „Wir wollen heute über die Folgen und Herausforderungen der Digitalisierung diskutieren“, blickte Moderatorin Dr. Christine Tretow von der IHK Siegen zu Beginn des Abends voraus. Sie hat seit Januar die geschäftsführende Betreuung der Wirtschaftsjunioren inne.

Bevor die Beteiligten in das Thema Digitalisierung einstiegen, stand aber etwas ganz und gar Analoges auf dem Programm: die traditionelle Ehrung eines Mitgliedes der Wirtschaftsjunioren, das sich mit besonderem Engagement und herausragender Leistung verdient gemacht hat und dafür die „Goldene Ehrennadel“ erhielt, also die höchste Auszeichnung, die die Wirtschaftsjunioren Deutschland zu vergeben haben. In diesem Jahr durfte sich Christina B. Schmidt über die Ehrung durch Björn Fuchs, Ressortleiter Training der Wirtschaftsjunioren Deutschland, freuen. Schmidt war unter anderem Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren Südwestfalen, Betreuerin vonseiten des Arbeitgeberverbandes und Initiatorin des „Strömungswechsels“, eines Projektes speziell für Frauen in Führungspositionen, wie Timm Bendinger in seiner Laudatio hervorhob.

Nach der Ehrung stand wieder das Thema Digitalisierung im Vordergrund. Ronny Stöcker, Vorsitzender der Wirtschaftsjunioren Südwestfalen und Geschäftsführer der Gräbener Pressensysteme GmbH & Co. KG in Netphen, betonte in seiner Begrüßung, dass viele Mitarbeiter über die Zunahme psychischer Belastungen klagten. Wesentliche Gründe dafür sieht Stöcker in der zunehmenden Dynamik der Arbeitswelt und in der ständigen Erreichbarkeit.

Lars Schirrmacher, Betrieblicher Gesundheitsmanager und Geschäftsführender Gesellschafter der symbicon GmbH, hielt den Impulsvortrag für die Podiumsdiskussion. Unter der Fragestellung „Führt uns die Arbeitswelt 4.0 zur Auflösung der Organisation?“ stellte er einige Thesen zu den Folgen der Digitalisierung vor. Organisationen würden in Zukunft vermehrt „beauftragen statt einstellen“, wodurch sich das Arbeitsverhältnis zum Arbeitseinsatz wandle. Bei produzierenden Unternehmen werde der Mensch nicht mehr der Erbringer der Arbeitsleitung sein, sondern in erster Linie der Überwacher von Maschinen – und andere Maschinen würden wiederum als „Kollegen“ mit Menschen zusammenarbeiten. Durch das Arbeiten in der digitalen Netzwerkgemeinschaft spiele die „räumliche Verortung des Leistungserbringers“ keine Rolle mehr. Arbeit erlange damit erstmals die gleiche Mobilität wie Kapital. Die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber löse sich auf, und durch die flexible und bedarfsgerechte Vergabe von Aufträgen an „Arbeitskraft-Unternehmer“ sei Selbstmanagement künftig Kernqualifikation eines jeden Arbeitnehmers.

Dass seine Thesen polarisieren, zeigte sich in der Podiumsdiskussion. Prof. Dr. Volker Stein, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation an der Universität Siegen, mahnte: „Beim Thema Digitalisierung müssen wir die Kirche im Dorf lassen, denn Digitalisierung ist Realität, aber keine Manifestation an sich – und der Umgang mit ihr ist kein Naturgesetz, sondern gestaltbar.“ Stein legte dar, dass die zentrale Herausforderung für Unternehmensführung und Personalabteilung darin liege, Digitalisierung als ein Thema des Generationenmanagements zu begreifen.

Ingo Degenhardt, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes Siegen-Wittgenstein und Geschäftsführer der DGB-Region Südwestfalen, stimmte Stein zu und führte aus: „Unsere hiesigen ‚Hidden Champions‘ erweisen sich als widerstandsfähig gegenüber den globalen Konkurrenten, weil ihre Lösungen qualitativ besser, technisch leistungsfähiger und langfristig zuverlässiger sind. Diese Alleinstellungsmerkmale sind zurückzuführen auf die Kompetenzen der Mitarbeiter, gute Arbeitsbedingungen, gute Löhne und Gehälter sowie den organisatorischen Willen, sich weiterzuentwickeln.“

Thomas Kleb, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Heinrich Georg GmbH Maschinenfabrik in Kreuztal, lenkte den Fokus der Diskussion auf einen weiteren Aspekt. Arbeit 4.0 sei weit mehr als der Einsatz digitaler Medien bei der Arbeit. Und so bestehe die größte Herausforderung darin, „die unheimliche Macht alter Routinen und Erfahrungen zu brechen.“ Mitarbeiter seien keine Kostenfaktoren, sondern eine Quelle von Ideen, die man nutzen und entsprechend vergüten müsse – nur so überlebe man in sich rasant verändernden Märkten.

Einig waren sich die vier Diskutanten am Ende darin, dass allein die Menschen die Verantwortung für die positive oder negative Wirkung neuer Technologien tragen, „damit diese genutzt werden, um miteinander menschlicher, ökonomisch effizienter und sozial verantwortlicher umzugehen“, wie Christine Tretow zusammenfasste. Sie dankte den Diskutanten dafür, dass sie sich „als echte Sucher nach Strategien antialgorithmischen Denkens für den Umgang mit den vielfach beklagten Folgen der Digitalisierung“ erwiesen hätten.

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