An neuen Gewerbeflächen führt kein Weg vorbei

Im Bild: Klaus Gräbener, Bürgermeisterin Nicole Reschke, Jan Henrik Leisse, Hermann-Josef Droege (v.l.).

„Früher haben wir getanzt, wenn sich die Betriebstore öffneten und der Boden zu vibrieren begann, als die Maschinen anliefen. Wie sich die Zeiten geändert haben! Produzieren und in der Region leben muss kein Gegensatz sein!“ Eindringlich ermutigte Jürgen Wagener, Geschäftsführer der ISOWA GmbH, Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke, weiter für das geplante Gewerbegebiet Ischeroth zu werben. Die aktuelle Diskussion um dringend benötigte Erweiterungsflächen für Freudenberger Betriebe war ein zentrales Thema des Wirtschaftsgespräches bei der Albrecht Bäumer GmbH & Co. KG, zu dem die Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) Siegen eingeladen hatte.

Bis zu 80 Prozent der Ansiedlungen auf neuen Gewerbeflächen erfolgten durch bestehende heimische Betriebe, die erweitern müssten, erläuterte Hermann-Josef Droege, stv. IHK-Hauptgeschäftsführer. Wenn Freudenberg ein florierender Wirtschaftsstandort bleiben und seine guten Strukturdaten hinsichtlich Beschäftigung und Einzelhandelskaufkraft erhalten wolle, führe an neuen Flächen kein Weg vorbei.

Jan Henrik Leisse, Geschäftsführer der Albrecht Bäumer GmbH & Co. KG, veranschaulichte die Bedeutung ausreichend verfügbarer Gewerbeflächen anhand der eigenen Produktion. Das Unternehmen fertigt hochwertige Schaumstoffschneidmaschinen, Schneidmedien sowie komplette Anlagentechnik. Wachsende Bedeutung haben zudem umfassende Servicedienstleistungen. Bei einem Betriebsrundgang gewannen die 60 Teilnehmer des Wirtschaftsgespräches einen Einblick in die Produktion und die Lehrwerkstatt des Betriebes, der einen Jahresumsatz von rund 65 Millionen Euro aufweist und 90 Prozent seiner Produkte ins Ausland exportiert, etwa nach Mexiko oder Polen. „Das Unternehmen ist räumlich an seine Grenzen gelangt. Die weltweite Nachfrage nach unseren Produkten ist enorm. Die Folge sind zunehmend längere Lieferzeiten, teilweise von bis zu einem Jahr. Das kann auf Strecke zu einem Wettbewerbsnachteil werden, wenn wir keine anderen Optionen haben“, hob der Geschäftsführer hervor.

Bürgermeisterin Nicole Reschke erinnerte daran, dass die Planungen für den Standort Ischeroth Ergebnis eines langen Suchprozesses gewesen seien und dass die Verwaltung auf Grundeigentümer und Kritiker zugegangen sei. Ergebnis sei das derzeit diskutierte „Denkmodell“ in Form einer reduzierten Fläche für Gewerbe auf dem Ischeroth. „Das Modell wird fachlich untersucht. Die Ergebnisse werden mit den Waldbesitzern besprochen, bevor Ende des Jahres in den politischen Gremien hierüber beraten wird“, zeigte Nicole Reschke die nächsten Schritte auf. IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener erinnerte daran, dass die Unternehmen im heimischen Wirtschaftsraum trotz des hohen Industrieanteils erheblich weniger Flächen in Anspruch nähmen als dies im Landesdurchschnitt der Fall sei. „Mit Blick auf die künftige Attraktivität der Stadt, muss politisch die Frage beantwortet werden, wo unsere Kinder in zehn oder 15 Jahren Beschäftigung finden sollen.“

Nicht alle Rahmenbedingungen sind gut in Freudenberg: Der Breitbandausbau durch die Telekommunikationsunternehmen verlief bislang schleppend, so dass viele Ortsteile auf schnelles Internet verzichten müssen. „Wir sitzen in Dirlenbach, das in diesem Jahr sein 675-jähriges Bestehen feiert. So alt fühlen wir uns dort auch mit unseren 2-3 Mbit/s. Wir wollen jetzt nicht noch einmal drei Jahre warten, bis sich endlich etwas ändert“, erklärte Norbert Uebach, Geschäftsführer der Uebach GmbH. Ganz konkrete Probleme schilderte auch Sebastian Quast von der OTTO QUAST Bau AG: „Die Ausschreibungsverfahren- und Planungsunterlagen werden immer komplexer und umfangreicher, Stichwort „Building Information Modelling“ und „Virtuelle Projekträume“. Ohne ausreichende Breitbandanbindung werden Planer und ausführende Firmen damit kaum effizient arbeiten können. Wir sehen anhand unserer Standorte in Siegen und Lindenberg, welchen Unterschied es macht, ob man eine Anbindung von 10 oder 100 Mbit/s hat.“ Tatsächlich gehört Freudenberg in Sachen Internet zu den am schlechtesten erschlossenen Kommunen der Region. Deshalb profitieren Unternehmen und Bürger in den kommenden Monaten besonders vom Breitbandausbau, den der Kreis Siegen-Wittgenstein in Kooperation mit den Städten und Gemeinden organisiert. Das Ziel: eine flächendeckende Versorgung mit 50-100 Mbit/s im Download bis Ende 2018.

Einig waren sich die Teilnehmer, dass der Ausbau mit Glasfaseranschlüssen viel zu langsam erfolgt, als dass er den Unternehmen Wettbewerbsvorteile ermöglichen könnte. Deutschland sei hierbei europaweit immer noch auf den hinteren Plätzen. Und nicht nur das: Viele Unternehmen pflegten weltweite Kundenbeziehungen und stünden im internationalen Wettbewerb. Ein guter Standort müsse international bestehen können, um Wettbewerbsvorteile hieraus zu generieren. „Politisch angekündigt ist ein flächendeckendes Giganetz bis 2025. Das sind noch acht Jahre. Vor gerade einmal zehn Jahren wurde das erste iPhone der Öffentlichkeit vorgestellt und hat seitdem die Welt einmal auf den Kopf und zurück gestellt. So wird Deutschland nicht auf die internationale Überholspur gelangen. Und heimische Unternehmen, darunter Weltmarktführer, sehen plötzlich ihre Marktposition gefährdet“, so IHK-Geschäftsführer Hans-Peter Langer.

Und auch das zeigte das Wirtschaftsgespräch: Um dem Fachkräfteengpass zu begegnen, verfolgen die Unternehmen in Freudenberg je nach Branche und gesuchtem Profil unterschiedliche Wege. Claudius Rink, Geschäftsführer der Lachmann & Rink Ingenieurgesellschaft für Prozessrechner und Microcomputeranwendungen mbH, berichtete, dass das Unternehmen in den letzten Jahren über 30 Ingenieure eingestellt habe und weitere suche. „Es zählt die persönliche Ansprache, auch über soziale Netzwerke. Auch Recruitingmessen werden von uns besucht. Wir machen dabei die Erfahrung, dass sich die Einstellungen der jüngeren Generation geändert haben. Hierauf gilt es zu reagieren und beispielsweise dem Bedürfnis nach einer Work-Life-Balance, das für viele immer wichtiger wird, nachzukommen.“

Die Albrecht Bäumer GmbH & Co. KG setzt unter anderem auf Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit, für die das Unternehmen sogar zertifiziert wurde, aber auch auf eine gute Vernetzung vor Ort, etwa mit örtlichen Schulen. „Große renommierte Unternehmen, die mit den Schulen kooperieren und sich auch online attraktiv präsentieren, haben erfahrungsgemäß weniger Probleme geeignete Fachkräfte zu finden als kleine Unternehmen mit unbekannten Berufsbildern“, erläuterte IHK-Geschäftsführer Klaus Fenster. Gleichwohl sei die Situation insgesamt trotz der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Akademisierung zwar ernst, aber noch nicht dramatisch.

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