„Ich will, dass Sie schwarze Zahlen schreiben“

Im Bild (von links): IHK-Hauptgeschäftsführer Franz Josef Mockenhaupt, IHK-Vizepräsident Axel E. Barten, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und IHK-Präsindet Klaus Th. Vetter.
Im Bild (von links): IHK-Hauptgeschäftsführer Franz Josef Mockenhaupt, IHK-Vizepräsident Axel E. Barten, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und IHK-Präsindet Klaus Th. Vetter.

Im Bild (von links): IHK-Hauptgeschäftsführer Franz Josef Mockenhaupt, IHK-Vizepräsident Axel E. Barten, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und IHK-Präsindet Klaus Th. Vetter.

Es war ein Auftritt vor einem besonders kritischen Publikum. Rund 1.600 Vertreter der heimischen Wirtschaft waren zum IHK-Jahresempfang in die Siegerlandhalle gekommen, um den ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten, Bundesfinanzminister und aktuellen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück zu hören. „Mit so vielen Gästen haben wir zunächst nicht gerechnet“, gestand IHK-Präsident Klaus Th. Vetter in seiner Begrüßung und dankte gleichzeitig den IHK-Mitarbeitern für ihre organisatorische Leistung.

Mit dem Titel „We will survive“ setzte die Big Band des Gymnasiums Wilnsdorf gleich zu Beginn der Veranstaltung ein markantes musikalisches Ausrufezeichen. Klaus Th. Vetter kommentierte diese Musikwahl mit einem optimistischen „Yes, we will“.

In seiner Begrüßung machte er denn auch den Stellenwert des IHK-Bezirks Siegen, der die Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe umfasst, innerhalb der Wirtschaftsregion Südwestfalen und darüber hinaus noch einmal deutlich. „Wir hier in Südwestfalen, in den drei IHK-Bezirken Siegen, Hagen und Arnsberg, sind mit einem Anteil von 47 Prozent Industriebeschäftigten und einem Umsatz von 54 Milliarden Euro die drittstärkste Industrieregion in Deutschland.“ Südwestfalen insgesamt sei ein Paradebeispiel für eine Mittelstandregion, die weitgehend aus eigener Kraft den enormen Strukturwandel der letzten Jahrzehnte, hin zu einer breit aufgestellten verarbeitenden Industrie ohne jegliche Monostrukturen, geschafft habe. „Südwestfalen ist eine gelebte Erfolgsgeschichte mit außergewöhnlich vielen Familienunternehmen, die auf den Märkten der Welt zuhause sind.“

Gerade für die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes seien die ökonomischen Rahmenbedingungen von existentieller Bedeutung. Deshalb ging er auf einige Aspekte besonders ein, die aus seiner Sicht zu wachsender Verunsicherung in den Unternehmen geführt hätten. „Mit einem Exportanteil von rund 45 Prozent, bei einzelnen Unternehmen sind es sogar über 80 Prozent, sind wir im IHK-Bezirk auf Europa und den Weltmarkt angewiesen. Wir müssen uns jeden Tag neu erfinden und uns auf die Veränderungen der internationalen Märkte einstellen.“ Die internationale Bankenkrise und die extrem hohe Staatsverschuldung sorgten hier für die größte Unsicherheit in der Wirtschaft. Immerhin wickle man 60 Prozent des gesamten Außenhandels mit den EU-Partnern ab. „Deshalb haben wir ein starkes Interesse daran, das die Südländer ihre Haushalte und ihre Wirtschaft wieder in Ordnung bringen.“

Auch die hohe Staatsverschuldung, nicht zuletzt in der Bundesrepublik selbst, bereite vielen Menschen Sorgen. Hier erwarte man mehr Ausgabendisziplin und einen langfristigen Schuldenabbau. In diesem Zusammenhang sprach Klaus Th. Vetter auch die Steuerpläne der SPD an. „Die deutsche Wirtschaft, vor allem der Mittelstand und die Familienunternehmen, sind sehr beunruhigt, weil konkret über die Einführung einer Vermögenssteuer diskutiert wird. Ich bin überzeugt, wenn die Vermögenssteuer eingeführt werden sollte, dann wird das gravierende wirtschaftliche Schäden hervorrufen und die Unternehmen, vorrangig den Mittelstand, nachhaltig schwächen.“ Insgesamt wolle die SPD durch Steuererhöhungen 28 Milliarden Euro zusätzlich in die öffentlichen Kassen spülen. „Gerade die jüngere Geschichte in unserem Land hat bewiesen, wie durch eine zurückhaltende Steuerpolitik die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft wieder angekurbelt und Arbeitsplätze neu geschaffen wurden“, mahnte Vetter.

Auch die Energiewende werde im Mittelstand mit Besorgnis gesehen. Hier sei die Marktwirtschaft praktisch außer Kraft gesetzt worden. Dies führe zu immer größeren Kostensteigerungen, die die Bevölkerung und die Unternehmen zunehmend belasten würden. „So wollten wir die Energiewende nicht.“ Die Energiewende müsse sicher, volkswirtschaftlich vertretbar und für alle bezahlbar bleiben. Vor allem dürfe durch den Alleingang die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht aufs Spiel gesetzt werden. „Hierzu abschließend noch ein besonderer Widerspruch: Die befestigten Versorgungswege für die im Bau befindlichen fünf 140 Meter hohen Megawindkraftanlagen auf der Kalteiche haben einen fast autobahnähnlichen Charakter. Der Gelände- und Waldverbrauch entspricht einer Fläche, auf der ein großes Teilstück der Route 57 von Kreuztal nach Wittgenstein mit Leichtigkeit gebaut werden könnte.“

Damit sprach Klaus Th. Vetter auch die Themen an, die ganz aktuell die Wirtschaft in Siegen-Wittgenstein besonders belasten: die Verkehrsinfrastruktur und die Schwerlastproblematik. „Die Route 57 gehört zu den wichtigsten regionalen Verkehrsprojekten. Wir brauchen diese Straße dringend.“ Ebenso notwendig sei eine für die Unternehmen verlässliche Ausweisung von Routen für Schwertransporte. Wenn diese Probleme nicht gelöst würden, sei damit zu rechnen, dass es zu Arbeitsplatzverlagerungen kommen könne.

Als „Freund und Förderer des Mittelstandes in Deutschland“ präsentierte sich anschließend der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dem durchaus kritischen Publikum in der Siegerlandhalle. Seine „Spielregeln“ für den Mittelstand machte er dabei in acht „Siegener Thesen“ deutlich. „Mittelständische Unternehmen erbringen 40 Prozent unserer Wirtschaftsleistung. Sie beschäftigen 60 Prozent unserer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und bilden 80 Prozent unserer Azubis aus. Der Mittelstand ist die Herzkammer der deutschen Wirtschaft. Er steht für Qualität, Erfindergeist, Wettbewerbsfähigkeit genauso wie für soziale Verantwortung, gute Arbeit und Aufstiegschancen. Um diese Stärken behaupten zu können, erwarten mittelständische Unternehmen von der Politik vor allem eins: Verlässlichkeit.“

Zu dieser Verlässlichkeit gehöre eine Politik für reale Wertschöpfung, so die erste These von Peer Steinbrück. Das Finanzsystem müsse der realen Wertschöpfung dienen. Wertschöpfung durch Spekulation gehöre ein Riegel vorgeschoben. Mittelständler und Sparer dürften nicht zum Spielball von Spekulationen der Investmentbanken werden. Deshalb will Steinbrück ein Trennbankensystem, mit dem auch die Genossenschaftsbanken und Sparkassen als wichtigste Kreditgeber für den Mittelstand gestärkt würden. Die Finanzierung des Mittelstands müsse von dem krisenanfälligen Banken- und Schattenbankensystem unabhängiger werden. Alternative Finanzierungsmodelle, wie Leasing und Factoring, müssten gestärkt werden. Außerdem will Steinbrück den Unternehmen durch eine staatlich unterstützte Ratingagentur den direkten Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern.

Der Mittelstand braucht Wachstumsperspektiven. Dazu sei es notwendig, Fehlanreize in der Besteuerung zu korrigieren. „Reale Investitionen in Menschen und in die Produkte dürfen nicht stärker belastet werden als Finanzprodukte“, lautete die zweite These. Die Unternehmensbesteuerung dürfe Eigenkapitalbildung und Investitionsspielräume nicht gefährden. „Ich will eine Vermögenssteuer, die der besonderen Situation des deutschen Mittelstands, von Personengesellschaften und Familienunternehmen, Rechnung trägt und nicht in die Substanz eingreift. Etwas anderes wird es mit mir nicht geben.“

Der Mittelstand braucht Fachkräfte. „Das duale Ausbildungssystem in Deutschland ist ein Standortvorteil, um den uns die Welt beneidet. Ich will deshalb dieses erfolgreiche System stärken. Wir dürfen keinen jungen Menschen zurücklassen. Dafür muss der Bund die Bildungsträger stärker unterstützen. Innovative Bildungskonzepte müssen gefördert werden.“ Ebenso sei eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen unabdingbar. Dazu würden mehr und bessere Kinderbetreuungsangebote benötigt und kein Betreuungsgeld, das dieser Zielsetzung komplett entgegenwirke.

Der Mittelstand braucht nach Ansicht von Peer Steinbrück auch die soziale Partnerschaft. Das Modell der Sozialpartnerschaft in Deutschland sei ebenfalls ein echter Standortvorteil. „Die Verlängerung der Kurzarbeit in der Krise war ein weltweit bewundertes Beispiel von funktionierender Sozialpartnerschaft zum Wohle der gesamten Volkswirtschaft. Deshalb brauchen wir starke Tarifabschlüsse und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wir brauchen starke Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die ihre volkswirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen“.

Der Mittelstand braucht sichere und bezahlbare Energie. Allein im letzten Jahr seien die Stromkosten für mittelständische Unternehmen um 13 Prozent gestiegen. In Frankreich, USA oder China seien die Energiekosten um die Hälfte günstiger. Statt Aufbruchstimmung zu entfachen, habe die überhastete Energiewende der Bundesregierung zu Chaos und einem Investitions-Stopp geführt. „Was wir brauchen ist ein Masterplan Energiewende. Die hierfür notwendigen Fachkompetenzen will ich in einem Energieministerium bündeln.“

Der Mittelstand braucht Beinfreiheit. Deshalb ist ein weiteres erklärtes Ziel von Peer Steinbrück, unnötige, für den Mittelstand kostenträchtige bürokratische Regelungen abzuschaffen. „Ich will einen Kulturwandel im öffentlichen Sektor.“

Schließlich braucht der Mittelstand auch ein starkes Europa. Ein starkes Europa ist für den SPD-Kanzlerkandidaten nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch eine zivilisatorische Verantwortung. „Unser Exportvolumen ist seit 2002 um 50 Prozent gewachsen, davon gehen 60 Prozent in die EU. Das heißt im, Umkehrschluss: Ohne Wachstumsperspektive für Europa sieht es auch für unsere Wirtschaftschancen und unseren Wohlstand auf Dauer düster aus.“ Seit der Wiedervereinigung habe die Bundesrepublik rund zwei Billionen Euro an Transferleistungen und Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer aufgebracht. Da sollten nach Ansicht von Steinbrück doch wohl auch finanzielle Hilfen für die Südländer der EU finanzierbar sein.

„Ich will, dass Sie schwarze Zahlen schreiben, denn nur dann kann ich von Ihnen auch Steuern kassieren“, so das Schlusswort von Peer Steinbrück an die Zuhörer in der Siegerlandhalle, die seinen Vortrag mit kräftigem Applaus honorierten.

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