Wenn Pendeln plötzlich glücklich macht

Wie können wir Produkte entwickeln, die das Wohlbefinden der Menschen steigern? Das erforschen WissenschaftlerInnen der Uni Siegen.

Eine Cabrio-Fahrerin fährt dem Sonnenuntergang entgegen, Wind weht durch ihre Haare. Solche Szenen sehen wir in Werbefilmen für Autos, mit der Wirklichkeit haben sie aber wenig zu tun. In dieser spielen hupende LKW, kilometerlange Staus auf der Autobahn oder Baustellen eine Rolle. „Der Alltag deutscher Autofahrer ist das Pendeln, nicht die wilde Abenteuer-Fahrt an der Küste“, sagt Professor Dr. Marc Hassenzahl, Professor für „Ubiquitous Design“ in der Fakultät Wirtschaftsinformatik an der Uni Siegen. Er möchte Produkte so gestalten, dass sie die Menschen im Alltag abholen und ihr Wohlbefinden erhöhen. Dazu forscht er im Projekt „Design for Wellbeing“ (wohlbefindensorientierte Gestaltung).

Fragt man Menschen, ob sie sich lieber zur Arbeit „beamen“ lassen würden, anstatt zu pendeln, stellte sich interessanterweise heraus: Viele wollten auf das Pendeln gar nicht verzichten. Hassenzahl und sein Team fragten sich also: Unter welchen Bedingungen fühlt sich das Pendeln positiv an? Ergebnis: Viele Menschen sehen das Autofahren zur Arbeit und zurück als wichtigen Teil des Alltags an und schätzen die Distanz zur Arbeitsstelle. Einige bräuchten die Zeit, um vom Modus „Arbeitsmensch“ in den Modus „Freizeitmensch“ umzuschalten. Vor allem Menschen mit kleinen Kindern sähen das Pendeln als Zeit für sich selbst, um abzuschalten und herunterzukommen, bevor zuhause der Trubel weitergeht.

Das Siegener Wissenschaftsteam entwickelte Ideen, um die Technik im Auto so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschen nach Ruhe und Sicherheit entsprechen. „Wenn im Auto gleich das Handy klingelt und der Kollege erwartet, dass Sie an einer Telefonkonferenz teilnehmen, dann können Sie natürlich nicht abschalten“, sagt Hassenzahl. Das Auto sollte den Fahrer bzw. die Fahrerin also vor Kommunikation schützen. Anrufe werden nicht durchgestellt, das Handy klingelt nicht und das Auto kommuniziert für den oder die FahrerIn, dass er oder sie erst später wieder erreichbar ist.

„Aus technischer Sicht mag das banal und simpel klingen. Aus psychologischer Sicht ist es aber unheimlich wertvoll und komplex“, erklärt Holger Klapperich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Siegen. „Klar könnte ich einfach den Flugmodus auf dem Handy einschalten, aber wer macht das schon?“ Bei „Design for Wellbeing“ gehe es darum, Menschen durch Technik und Produkte in eine Richtung zu lenken, von der sie selbst wissen, dass sie ihnen gut tut – die im Alltag aber oft zu kurz kommt. „Die Konsumenten und Nutzer können dann selbst entscheiden, ob sie die neue Technik ausprobieren möchten.“ Viele Autohersteller hätten mittlerweile begriffen, dass es nicht mehr nur um Form, Material und Funktionalität geht, sondern darum, Erlebnisse zu schaffen und psychologische Bedürfnisse zu erfüllen.

„Diese Art von Design ist für Unternehmen nicht vorrangig aus kommerzieller Sicht interessant“, sagt Hassenzahl. Ein Unternehmen, das sich auf die Ideen der Siegener Forscher einlässt, ist die Lufthansa. Die Wissenschaftler haben gemeinsam mit ixdp. und den anderen Projektpartnern den Prototyp einer App entwickelt, um Menschen bei der Urlaubsplanung zu unterstützen. „Viele Menschen wollen nicht billig von A nach B fliegen und Urlaub im All-Inclusive-Hotel machen“, erklärt Hassenzahl. „Stattdessen wollen einige bewusst aus ihrer Komfortzone rauskommen und im Urlaub zu sich selbst finden. Sie wissen aber nicht unbedingt, welche Ziele sich dafür eignen.“ Die App erfragt die Bedürfnisse des Nutzers oder der Nutzerin: Aus welchem Zweck möchten Sie in Urlaub fahren? Welche Art Erlebnisse möchten Sie machen? Wie wichtig sind Ihnen Sicherheit oder Verbundenheit zu anderen Menschen, um glücklich zu sein? Auf Basis dieser Antworten macht die App Vorschläge.

„In diesem Fall haben wir eine Win-Win-Situation“, erklärt Klapperich. „Der Nutzer findet Urlaubsziele, auf die er vielleicht selbst nie gekommen wäre, und hat im besten Fall eine passgenaue und erfüllende Ferienzeit. Lufthansa erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich für Flüge mit ihrer Fluggesellschaft entscheiden.“ Außerdem kann die App eine weitere Funktion erfüllen: Die weltweiten Touristen-Ströme umverteilen. Die App könnte Orte, die von Touristen überlaufen sind, nur sehr wenigen NutzerInnen vorschlagen. Stattdessen schlägt sie vermehrt vergleichbare, aber weniger besuchte Orte vor, sodass dort die Wirtschaft und die Menschen vom Tourismus profitieren.

Wie die Ideen der Siegener Forscher bei den KonsumentInnen im Alltag ankommen, und welche Erfahrungen die kooperierenden Unternehmen gemacht haben, erfahren Interessierte bei der Abschlusstagung des Projekts am 26. September von 15 bis 19 Uhr in Köln.

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