„Seilbahn sympathisch, aber unrealistisch“

Eine Mehrheit der Unternehmen in den Stadtgebieten Siegen und Kreuztal glaubt, dass eine Seilbahn im Hüttental zur Entlastung des innerstädtischen Verkehrs beitragen kann. Weitaus weniger wird hierfür auf Bus und Bahn gesetzt. Fast jeder fünfte Betrieb geht zudem davon aus, dass Fahrräder und E-Bikes in Zukunft deutlich entlastend wirken könnten. Erheblich gehen die Meinungen dagegen in der Frage auseinander, ob das Seilbahnprojekt technisch und finanziell realisierbar ist. Das zeigt eine Blitzumfrage der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) unter 2.223 Unternehmen in Siegen und Kreuztal. Der Rücklauf ist ungewöhnlich hoch: 622 Betriebe, fast 28 %, haben geantwortet. „Die überraschend hohen Zustimmungswerte für das Seilbahn-Vorhaben und den Ausbau der Rad- und Fußwegenetze verdeutlichen: Weite Teile der Wirtschaft sind offenbar der Auffassung, dass die traditionellen Instrumente wie Bus und Bahn auf Strecke allein nicht in der Lage sind, den steigenden Verkehrsbewegungen gerecht zu werden. Es wird offenbar Zeit, die bisherige Ausrichtung des ÖPNV zu überdenken, zumindest aber wirkungsvoll zu ergänzen“, bilanziert IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener die zentralen Aussagen der Befragung.

Die Ergebnisse zeigen zudem, dass der Anlass, über eine Entlastung der Verkehrssituation nachzudenken, aus Sicht der Wirtschaft durchaus gegeben ist. Die Erreichbarkeit der Stadt Siegen mit PKW und LKW wird durchwachsen beurteilt: 33 % empfinden die Erreichbarkeit als „gut“ oder „sehr gut“, mehr als die Hälfte der Betriebe (55 %) bewerten sie mit „befriedigend“ oder „ausreichend“. 12 % finden die Erreichbarkeit „mangelhaft“. Deutlich schlechter fällt die Bewertung für die Erreichbarkeit mit dem ÖPNV aus: Nur 11 % bewerten sie als „gut“ oder „sehr gut“, 50 % als „befriedigend“ oder „ausreichend“, 28 % der befragten Betriebe verpassen der innerstädtischen Erreichbarkeit mittels ÖPNV die Note „mangelhaft“. IHK-Geschäftsführer Hans-Peter Langer: „Die permanente Diskussion der letzten Monate zur Qualität des Busverkehrs im Kernraum war sicher nicht förderlich für dessen Image. Hinzu kommt, dass die ÖPNV-Versorgung schon seit längerem regelmäßig Ziel von Kritik ist. Beides schlägt sich in diesem Ergebnis möglicherweise nieder.“

Kann eine Seilbahn das Erreichbarkeitsdefizit eindämmen helfen? 55 % der Unternehmen antworten hierauf mit „ja, voll und ganz“ oder „ja, teilweise“. 42 % der Betriebe antworten mit „eher nein“ oder „eindeutig nein“. Auch im direkten Vergleich zu den anderen Verkehrsmitteln Bus, Bahn oder Rad/E-Bike, wird das größte Potenzial in dem diskutierten Seilbahnprojekt (35 %) gesehen. Gerade einmal 26 % setzen perspektivisch auf den Busverkehr. Unerwartete 19 % halten das Rad bzw. E-Bike als das am ehesten geeignete Verkehrsmittel, wenn es um die Entlastung des innerstädtischen Verkehrs geht. Dass die Bahn hierbei künftig die wichtigste Rolle spielt, glauben bloß 11 % der Befragten. Hans-Peter Langer: „Ein Verkehrsprojekt, das in dieser Form noch nirgendwo in Deutschland gebaut wurde, genießt offensichtlich ein höheres Vertrauen als Bus und Bahn, wenn es um die Lösung der städtischen Verkehrsprobleme geht. Das sollte allen Verantwortlichen zu denken geben. Weite Teile der Wirtschaft bringen damit zum Ausdruck, dass der ÖPNV in der heimischen Region in den nächsten Jahren sein Gesicht verändern sollte. Hierüber sollten wir unvoreingenommen diskutieren und herkömmliche Denkmuster überwinden. Es geht nicht um ein paar elektronische Anzeigetafeln mehr, sondern um eine langfristige Verschiebung der Grundstrukturen im ÖPNV.“

So positiv die Idee einer Seilbahn im Hüttental bewertet wird, trübt sich das Bild in der Frage der Realisierbarkeit. Eine Mehrheit (53 %) schätzt die Pläne als „eindeutig unrealistisch“ oder „eher unrealistisch“ ein. 41 % bewerten sie als „klar realistisch“ oder „eher realistisch“. Die Gruppe der Befragten ist geradezu ‚gespalten‘ in dieser Frage. Selbst Sympathisanten sind skeptisch. Klaus Gräbener: „Stand heute liegen nur wenige belastbare Aussagen zur Realisierbarkeit vor. Dies umso mehr, als man nicht seriös über Kosten diskutieren kann, wenn man nicht weiß, auf welcher Strecke eine Seilbahn überhaupt realisierbar wäre. Eine Machbarkeitsstudie könnte dazu beitragen, eine fundierte, faktenbasierte Orientierung zu liefern. Das Thema hat nicht nur einen hohen Gesprächswert, sondern löst ganz offensichtlich auch Emotionen unterschiedlichster Art aus. Selten erhielten wir bei einer von uns durchgeführten Umfrage derart viele begleitende Kommentare.“ Die Rückmeldungen reichen von „Aprilscherz“ und „Hirngespinst“ bis zu „reizvolles und machbares Projekt“. Ein Unternehmen sieht in der Seilbahn einen „Lösungsvorschlag mit Technologien der Vergangenheit für Probleme der Gegenwart und der Zukunft“, ein weiteres lehnt eine Seilbahn nicht ab, schlägt aber vor, zunächst die „maroden Straßen in Angriff zu nehmen“, wieder ein anderer Betrieb findet es dringlicher dafür zu sorgen, „dass die Schwertransporte die Firmen erreichen“. Eine ganze Reihe von Unternehmen wünscht sich zudem mehr Informationen zu dem Seilbahnprojekt, um es besser einschätzen zu können. All das belegt nach Auffassung der IHK, welchen Nerv die Diskussion um die Verkehrsentlastung trifft.

In den konkreten Handlungsempfehlungen an die Politik legen die Unternehmen einen differenzierten Blick an, der sich nicht auf den klassischen ÖPNV (Bus und Bahn) beschränkt, naturgemäß jedoch auch nicht alleine auf das Seilbahnprojekt fokussiert. Vielmehr setzen die Betriebe auf ein ganzes Paket verkehrspolitischer Maßnahmen. 48 % der Unternehmen meinen, das bestehende ÖPNV-Angebot sollte ausgebaut werden (mehr Buslinien und bessere Taktung). 42 % wünschen sich, dass die Digitalisierung der Verkehrssteuerung (z.B. Ampelschaltung) vorangetrieben wird. 39 % sprechen sich für die Errichtung der Seilbahn aus, immerhin 38 % für einen Ausbau des Fuß- und Radwegenetzes. Weit abgeschlagen landet der Ausbau von Park und Ride-Angeboten (14 %) und Carsharing-Angeboten (6 %). Klaus Gräbener: „Egal, was man von der Seilbahnidee hält: Die Umfrage verdeutlicht, dass wir uns neben dem Auto, dem Bus und der Bahn dringend auch unkonventionellen Lösungsansätzen nähern sollten. Dies umso mehr, als die Verkehrsprobleme im gesamten Hüttental mit dem Umzug der Universität in die Innenstadt eher größer als kleiner werden. Und deren Lösung traut man Bussen und Bahnen allein offenbar nicht zu. Der politische Handlungsbedarf ist aus unserer Sicht evident. Wir benötigen ein ganzes Bündel konzertierter Maßnahmen, um das Ziel einer verkehrlichen Entlastung zu erreichen. Dabei darf es aus unserer Sicht keine Tabus geben.“

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