Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte: Freie Wahlen sind ein Grund zum Feiern

Politikwissenschaftler Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte blickte wenige Tage vor dem Urnengang auf die Europawahl und sein Demokratieverständnis.

Das Interesse an der Europawahl ist in diesem Jahr um zehn Prozentpunkte größer als noch vor fünf Jahren. Dass das auch in Siegen-Wittgenstein so ist, bewies der Vortrag von Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte im Haus der Siegerländer Wirtschaft, wo auf Einladung der Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein (AGV) kaum ein Stuhl leer blieb – zu aktuell das Thema kurz vor der Richtungswahl im größten zusammenhängenden Wirtschaftsraum der Welt. Und schon der Titel des Vortrags traf eine klare Aussage: „Demokratie – Privileg statt Auslaufmodell“.

Prof. Dr. Korte, bekannt für seine Wahl- und Politikanalysen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, gab eine Anleitung für den kommenden Sonntag: „Haben Sie schon eine Flasche kalt gestellt? Sind Sie in Feierlaune?“ Freilich, die Herausforderungen in diesen Zeiten sind groß, und doch unterstrich der Professor von der Universität Duisburg-Essen eines ganz deutlich: „Deutschland ist ein freies Land. Wir können frei wählen, Millionen Menschen können das nicht!“

Aber warum will so recht keine Festtagsstimmung aufkommen? Korte brachte auch hier Licht ins Dunkel. Mehrfach betonte der Experte, dass man sich zu viel mit den politischen Rändern beschäftige: „Wir verlieren die Mitte aus dem Blick. Wir müssen verhindern, dass das Radikale das Moderate überlagert.“ Und dieses Moderate sei in Deutschland nach wie vor sehr ausgeprägt, wenn es um Wahlen gehe.

Zusätzlich wähle man aber auch eine moderate Herangehensweise im Falle von Herausforderungen. Den Blick in Richtung Corona-Pandemie gerichtet: „Die Briten haben direkt drauflosgeimpft. Das ist eben eine Seefahrer-Nation. Die lieben das Abenteuer“, bemerkte der brillante Redner süffisant: „Wir Deutschen haben erst einmal Impfzentren gebaut. Bauen können wir. Und ich garantiere Ihnen – es gab in ganz Deutschland in keiner Kommune ein Impfzentrum, das kein Brandschutzkonzept hatte.“ Die Briten hätten improvisiert, die Deutschen impfpriorisiert – und dann festgestellt, dass kein Impfstoff da war.

Letztere seien eben auf Sicherheit bedacht und wählten auch entsprechend. „Wir lieben Lotsenschaft in der Politik“, folgerte Karl-Rudolf Korte und verwies darauf, wie schwer das in der momentanen Dreier-Konstellation im Bund einzulösen sei. Dabei müsse Politik unfertig sein und auch unfertig bleiben. Für die zunächst erfolgversprechende Fortschritts-Koalition sei nach wenigen Tagen Regierungszeit der Ukraine-Krieg dazwischen gekommen, Gewissheiten hätten sich in Luft aufgelöst.

Alle in der Ampel mussten sich bewegen
Die Liberalen als die Schuldengegner par excellence hätten den Weg für ein Sondervermögen freigemacht, die SPD sei bereit, aktiv Panzer in ein Kriegsgebiet zu entsenden und die Grünen? „Dass Robert Habeck die letzten fossilen Energien auf der Welt zusammenkratzt – das hätte ich vorher auch nicht gedacht.“ Aber der Weg sei zunächst angekommen in der Bevölkerung. „Wir lieben Pragmatismus“, so Korte. Und darum sei es so falsch, derzeit immer nur auf die Ränder zu schauen: „85 Prozent von uns wählen mittig!“

Christian F. Kocherscheidt, Vorsitzender der Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein, begrüßte im Haus der Siegerländer Wirtschaft rund 120 Gäste.

Das schlage sich auch in der Kandidatenauswahl nieder: „Da kandidierten bei der Bundestagswahl Laschet und Scholz. Wir hatten verlässliche Langeweile zur Auswahl.“ Einen besonderen Blick warf Korte denn auch auf den Sieger dieses Duells. „Olaf Scholz hat ein Schweigegelöbnis abgelegt – auch dann wenn er spricht“, schmunzelte Prof. Dr. Korte. Ganz anders Robert Habeck, der seine zergrübelte Nachdenklichkeit öffentlich zur Schau stelle: „Wir werden alle ärmer, aber ich begleite dich dabei!“

Veränderung ja – aber bitte bei den anderen
Einen Blick warf der Politikwissenschaftler noch auf die Wählerstruktur. Diejenigen, die bei der vergangenen Bundestagswahl zur Urne gegangen seien, hätten ein Durchschnittsalter von 58 Jahren gehabt. Dabei seien Erstwähler sogar sehr fleißig, weil zu diesem Zeitpunkt oft von zuhause aus noch zum Kreuzchen-Machen animiert. Der Knick im Interesse komme in dieser Gruppe oft bei der zweiten Wahl. Dabei stehe sie besonders für Veränderungswillen, wenngleich das auch die älteren Wähler oftmals für sich beanspruchten, aber: „Bitte erst morgen, und dann auch nicht zuerst bei mir!“

Zum Schluss erinnerte Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte die rund 120 Zuhörerinnen und Zuhörer noch einmal an das Kaltstellen der Flasche für Sonntag. Alleine schon, um zu Feiern. Denn da kam Korte mit den Verantwortlichen der Arbeitgeberverbände auf einen Nenner. Demokratie ist ein Privileg, kein Auslaufmodell“. Es war von Beginn an ein Ausrufezeichen, das der Verband damit setzen wollte, wie er es im Übrigen auch schon gemeinsam mit IHK, Kreishandwerkerschaft und Gewerkschaften gesetzt hatte: Wählen gehen ist das Eine, demokratisch Wählen das Andere. Und so formulierte es denn auch der Vorsitzende der AGV, Christian F. Kocherscheidt: „Trotz aller Unzufriedenheit über Politik und Europa im Allgemeinen möchte ich eines doch deutlich festhalten: Unter dem Strich profitieren wir, profitiert Deutschland, profitiert Siegen-Wittgenstein von diesem Europa!“

Text: Jan Krumnow / Fotos: Kai Osthoff

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