Optische Sensorik für den Leichtbau

Tüfteln an der Zukunft des Automobils: Matthias Kahl analysiert mit Terahertz-Strahlung ein Organoblech, ein mit Glasfasern verstärkter Kunststoff, der die Metallkarosserie ersetzen soll.

Ob Autos oder Züge, ob in der Luft- oder Raumfahrt: Fahrzeuge aller Art sollen in Zukunft deutlich leichter werden. Höhere Reichweiten beziehungsweise zunehmende Nutzlasten führen zu ressourcenschonendem Betrieb. Ähnlich wie bei Automobilen hat auch bei Flugzeugen ein niedriger Spritverbrauch heute höchste Priorität. Pro 1000 Gramm fallen für eine Airline jährlich bis zu 300 Dollar Spritkosten an. Doch die Fahrzeuge sollen auch sicher bleiben. Die Lösung könnten Organobleche sein, faserverstärkte Kunststoffplatten aus Thermoplasten, die nach dem Anwärmen – ähnlich wie Metallbleche – umgeformt werden können. Dabei haben Organobleche hohe Festigkeiten bei beispielsweise nur 70 Prozent des Gewichtes von Aluminium. Mit ihrem Einsatz können Bauteile in Automobilen und Schienenfahrzeugen sowie insbesondere Trägerprofile in der Luft- und Raumfahrt deutlich leichter werden. Organobleche – als zukunftsträchtiger Ersatz für Metall – haben sich bislang allerdings nicht umfangreich etabliert, weil unter anderem eine sichere Prozess- und Bauteilbeherrschung aufgrund mangelnder Sensorik in der Fertigung fehlt.

WissenschaftlerInnen der Universität Siegen wollen im Rahmen des AMITIE-Forschungsprojektes dafür sorgen, dass sich das ändert. Insgesamt sieben Partner aus Forschung und Industrie sind am etwa 5 Millionen Euro schweren Projekt beteiligt, das zu 50 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Industrie gefördert wird. Der Uni Siegen stehen im Projekt 958.000 Euro zur Verfügung. In Siegen soll Messtechnik auf Basis optischer Sensorik zur Kontrolle der Organobleche während des Produktionsprozesses entwickelt werden. Insbesondere die Vernetzung dieser Messtechnik mit der Produktion ist wichtig, denn die Organobleche werden zur Umformung erwärmt. Beim Pressen kommt es zu Verschiebungen der Glasfasern, nur in der richtigen Anordnung der Fasern ist das Endprodukt aber auch stabil. Es ist also entscheidend, während der Produktion zu wissen, wie genau sich das Material beim Umformen verändert. Dies ist nur mit einer in die Produktion vernetzten, flexiblen Messtechnik optimal möglich. Mit der Umformung und den produktionsbedingt einhergehenden Defekten der Bauteile befasst sich ein zweiter Schwerpunkt des Projektes. Am Ende soll ein intelligentes Prüfverfahren stehen, das eine großserientaugliche Produktion deutlich vereinfacht.

„Das Forschungsprojekt ist für Siegen eine herausragende Sache. Wir vernetzen mit dem etablierten Zentrum für Sensorsysteme und dem noch jungen Zentrum für Smart Production Design zwei starke Institutionen miteinander“, sagt Prof. Dr. Peter Haring Bolívar, Projektleiter des Zentrums für Sensorsysteme (ZESS) an der Universität Siegen. Sein Team will mit Industriepartnern ein Analysesystem entwickeln, das unerwünschte Materialveränderungen bereits während der Umformung anzeigt. Solch ein in-linefähiges Prüfverfahren gibt es für Organobleche bislang nicht. Dazu werden zwei sich ergänzende Messtechniken verwendet: Auf der einen Seite impulsive Thermografie, um mit einer Art Wärmebildkamera Fehler zu lokalisieren; auf der anderen Seite 3D-Terahertz-Bildgebung zur tiefergehenden Analyse der Fehler.

Damit dies funktioniert, ist ein zweites Team der Uni Siegen in das Projekt involviert. Prof. Dr. Bernd Engel und die ForscherInnen vom Zentrum für Smart Production Design untersuchen, welche Verschiebungen der Glasfasern für die Organobleche überhaupt problematisch und relevant sind. Fehler sollen entdeckt werden, um den Umformprozess anzupassen – der Produktionsprozess wird intelligent. „Das Projekt stärkt auch die regionale Industrie“, betont Prof. Engel. Für Unternehmen würden sich mit der Verarbeitung von Organoblechen neue Möglichkeiten auftun. Dementsprechend sind auch Industriepartner Teil des Forschungsverbundes. Koordinator des Projektes ist das Automotive Center Südwestfalen in Attendorn, vertreten durch Dr.-Ing. Stefan Kurtenbach. Weitere Partner aus der Region sind Kirchhoff Automotive Deutschland, ebenfalls Attendorn, und MPA Technology aus Burbach. „Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit“, sagt Dipl.-Ing. Matthias Kahl, Projektbetreuer auf Seiten der Universität. Am 7. Januar fiel bei einem Treffen der Partner in Attendorn der Startschuss.

Hintergrund

„Photonik für die flexible, vernetzte Produktion – Optische Sensorik“ heißt eine Förderinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Für 13 Verbundprojekte stellt das BMBF insgesamt 24 Millionen Euro zur Verfügung. Rund 5 Millionen Euro entfallen auf das Projekt „Adapative multimodale in-line Inspektion Faserverstärkter Thermoplaste im Automobilen Leichtbau“ (AMITIE). Partner sind neben der Universität Siegen das Automotive Center Südwestfalen (Attendorn) als Koordinator sowie das Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (Kaiserslautern), ACST GmbH (Hanau), Silicon Radar GmbH (Frankfurt Oder), MPA Technology GmbH (Burbach) und Kirchhoff Automotive Deutschland (Attendorn). Das Projekt läuft bis zum 31.10.2021.

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