„Europa muss zukünftig stärker kooperieren“

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach vor über 100 Zuhöre­rin­nen und Zuhörern im Haus der Siegerländer Wirtschaft in Siegen.

Normalerweise hat es Wolfgang Ischinger, ehemaliger Spitzendiplomat und seit 2008 Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, mit den Mächtigen dieser Welt zu tun, wenn es um Fragen der internationalen Politik geht. Jetzt stellte er sich auf Einladung der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein auch den Fragen eines interessierten Publikums aus unserer Region. „Chaos und Konflikte, wohin wir auch blicken – welche Rolle kann und sollte Deutschland international spielen?“ lautete der Titel seines Vortrages im Haus der Siegerländer Wirtschaft in Siegen.
Zwei wesentliche Aspekte waren ihm dabei besonders wichtig: 1. die gewachsenen Unsicherheiten in der internationalen Politik, die er als Verluste bezeichnete und 2. die Be­deutung der Europäischen Union im Konzert der Weltmächte im Vergleich zu der relativen Bedeutungslosigkeit ihrer Mitgliedsstaaten.

Bezüglich der gewachsenen Unsicherheiten sprach er zu­nächst davon, dass internationale Konflikte immer weniger vorhersehbar seinen. Das traf beispielsweise auf die Besetzung der Krim durch Russland und den nachfolgenden Konflikt in der Ukraine zu. Ebenso gebe es einen Verlust an ojektiven Wahrheiten und das nicht nur in der neuen amerikanischen Administration. Das westliche Selbstbewußtsein habe auch an Bedeutung und Wert in der Welt verloren. „Heute glauben die Menschen nicht mehr unbedingt an die Vorteile unserer Demokratie und unserer Marktwirtschaft.“ Die Idee der Vereinten Nationen habe deutlich an Einfluss und Akzeptanz eingebüßt. Und auch das Gewaltmonopol des Staates werde zunehmend unterhöhlt, nicht zuletzt durch die wachsenden Cyberattacken und Hackerangriffe, die inzwischen mehr Schaden anrichten könnten, als militärische Interventionen.

Vor diesem Hintergrund hätten auch die Nationalstaaten immer weniger Einflussmöglichkeiten. „Angela Merkel kann nicht alleine das Klima retten oder unser Land vor dem internationalen Terrorismus schützen.“ Vielmehr ge­winne die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene massiv an Bedeutung. Das habe man leider auf europäischer Ebene im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik lange Zeit nicht so gesehen. Als Beispiel dafür nannte der langjährige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den USA und in Großbritannien die Verteidigungspolitik.

Die 26 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verfügten zusammen über etwa so viele Soldaten, wie die USA. Die Militärausgaben lägen ungefähr bei etwa 40 Prozent des amerikanischen Budgets. Die militärische Stärke der europäischen Armeen werde allerdings von Experten im Vergleich mit den USA auf lediglich zehn bis 15 Prozent geschätzt. Das ließe sich relativ einfach ändern, wenn die Mitgliedsstaaten der Europäische Union auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten würden, beispielweise bei der Ausrüstung und Beschaffung. Das dadurch erreichbare Einsparungspotenzial schätzte Wolfgang Ischinger auf 15 bis zu 30 Milliarden Euro. „Außerdem wäre damit auch die leidige Debatte um die Zwei-Prozent-Untergrenze für die einzelnen Verteidigungshaushalte vom Tisch“, so der ehemalige Botschafter. Es gebe in der Europäischen Union im­mer noch zwei Kategorien von Staaten. Solche, die wüssten, dass sie klein sind und alleine kaum etwas ausrichten könnten und solche, die das noch nicht kapiert hätten.

Auf Nachfragen aus dem Publikum ging Wolfgang Ischinger auch auf den aktuellen Konflikt zwischen den USA und Nord-Korea ein. Hier schlug er als vorläufige Lösung ein Abschreckungsszenario vor, wie zwischen den Großmächten während des kalten Krieges. „Eine militärisch und moralisch vertretbare Lösung dieses Konfliktes gibt es aus meiner Sicht nicht.“

Kommentar hinterlassen zu "„Europa muss zukünftig stärker kooperieren“"

Hinterlasse einen Kommentar

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.