„Digitalisierung mit Menschen umsetzen“

Im Bild: Jun.-Prof. Dr. Thomas Ludwig, IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener, Christian F. Kocherscheidt und Axel E. Barten (v.l.).

„Ich weiß es doch auch nicht“: Es war ein bemerkenswertes Bekenntnis, mit dem Jun.-Prof. Dr. Thomas Ludwig, stellvertretender Leiter des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums seinen Vortrag zur Digitalisierung beim Wittgensteiner Unternehmergespräch der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) einleitete. Was genau auf die heimischen Unternehmen zukomme und was Digitalisierung für sie bedeute, könne er beim besten Willen nicht prognostizieren. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall die Ausgangssituation betrachtet werden, um Potenziale abschätzen zu können. Der Juniorprofessor für Cyber-Physische Systeme der Universität Siegen stellte bei der von IHK-Vizepräsident Christian F. Kocherscheidt geleiteten Veranstaltung im Romantik Landhotel Doerr in Feudingen die Arbeit des Kompetenzzentrums vor. Schon in den ersten Monaten seines Bestehens hat das Zentrum Kontakte zu mehr als 300 Unternehmen „von der Apotheke bis zum industriellen Großunternehmen“ aufgebaut. Es erhält zunehmend Anfragen aus ganz Südwestfalen. „Die Dynamik der technologischen Entwicklung macht Vorhersagen schwierig. Das vor elf Jahren vorgestellte erste iPhone hat außer seinen Entwicklern auch niemand vorhersehen können. Aber: Wir können uns vorbereiten!“

Mit einigen Projektbeispielen verdeutlichte Jun.-Prof. Dr. Thomas Ludwig, wie moderne Technologien um den Menschen herum entstehen können und wie das Kompetenzzentrum Unternehmen hierbei unterstützt. Digitale Anwendungen können beispielsweise dazu beitragen, dass die Produktionsmitarbeiter nicht nur Stückzahlen, sondern auch Qualitätsmerkmale im Blick behalten. Durch den Einbau spielerischer Elemente – „es zockt Schicht gegen Schicht im Wettbewerb“ – macht dies dann sogar Spaß. Ein anderes Beispiel zeigte, wie Erfahrungswissen u. a. mit Hilfe von Augmented Reality-Brillen von erfahrenen an jüngere Mitarbeiter weitergegeben werden kann. Im betroffenen Unternehmen musste dies möglichst schnell passieren, es war erheblich gewachsen und die neuen Mitarbeiter beherrschten die Umrüstprozesse an den Maschinen noch nicht in Gänze. Auch das Marketing kann durch digitale Medien erheblich verbessert werden, seien es virtuelle Darstellungen technischer Funktionen oder aber völlig neue Angebotsmodelle. Das Kompetenzzentrum erschließt solche Potenziale gemeinsam mit den Unternehmen und entwickelt die Anwendungen von der Idee bis hin zum Prototypen. Für die Unternehmen entstehen dadurch zunächst keine Kosten. Abschließend rechnete der stellvertretende Leiter des Kompetenzzentrums mit dem pauschalen Vorurteil ab, die Digitalisierung vernichte Arbeitsplätze: „Seit zwölf Jahren sinkt in Deutschland trotz oder vielleicht sogar wegen der fortschreitenden Digitalisierung die Arbeitslosenquote!“

Weiteres Thema des Wirtschaftsgespräches: die konjunkturelle Lage. Sie wird von den meisten Unternehmen weiterhin positiv eingeschätzt. „Insgesamt stehen die Ampeln noch auf Grün“, beschrieb Jan Roland Osterrath (Osterrath GmbH & Co. KG) die derzeitige Situation. Die Nachfrage und das Investitionsklima befänden sich noch auf hohem Niveau. Gleichwohl ziehen in einigen Branchen dunkle Wolken auf. Für die exportstarke Wittgensteiner Industrie stellt sich die internationale Lage – Stichworte Brexit, Türkei, Russland, USA – zunehmend unsicher dar. Auch die steigenden Kosten für Vorprodukte und Grundstoffe drücken auf die Margen. „Der starke Rückenwind der letzten Jahre lässt nach. Vor allem im Automobilbereich nehmen die Auftragseingänge ab, während in der Bausparte Aufträge kaum noch angenommen werden können, weil den Kunden die Fachkräfte fehlen“, berichtete Christian F. Kocherscheidt, Geschäftsführer der EJOT Holding GmbH & Co. KG. Eine Einschätzung, die auch Dirk Pöppel, Einzelprokurist der BSW Berleburger Schaumstoffwerk GmbH, teilte: „Das Personal ist längst der Flaschenhals der unternehmerischen Entwicklung.“

Einer der möglichen Magneten für Fachkräfte sind Geschäfte vor Ort, die maßgeblich die Lebensqualität und Attraktivität in den Ortszentren mitbestimmen. Wenngleich nicht in allen drei Wittgensteiner Kommunen 100 Prozent der örtlich vorhandenen Kaufkraft auch vor Ort ausgegeben werden, sind die Werte weder außergewöhnlich noch besonders schlecht. Bereits eingeführte Bonuskarten und Gutscheine helfen, die Kaufkraft in der Region zu halten. „Entscheidend für die Einzelhandelsstandorte ist aber deren Sichtbarkeit. Die Händler machen durchaus öffentlich von sich reden: Sie organisieren Feste vor Ort und bilden junge Menschen aus. Mehr als 800 Einzelhändler beteiligten sich an der diesjährigen Aktion ‚Heimat Shoppen‘“, hob Ann Katrin Hentschel von der IHK Siegen hervor. Aber auch online gelte es, sichtbarer zu werden. Hier bestünden noch große Potenziale. Im Auftrag der IHK Siegen sind in den vergangenen Monaten in allen Städten und Gemeinden der Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe Menschen zur Attraktivität der Innenstädte befragt worden. „Wir werden am Ende dem örtlichen Handel und den Kommunalverwaltungen solide Grundlagen und konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand geben und auch bei der Umsetzung unterstützen“, unterstrich Ann Katrin Hentschel.

Erschwert wird vielen Wittgensteiner Unternehmen die tägliche Arbeit durch die Verkehrsverhältnisse. An den einzelnen Abschnitten der Route 57 wird derzeit intensiv geplant. Um über die Planungsfortschritte zwischen Kreuztal und Erndtebrück kontinuierlich zu informieren, ist unter anderem eigens der Beirat B62/B508 ins Leben gerufen worden. Einige planerische Schritte müssen aufgrund der Verzögerungen in der Vergangenheit allerdings neu durchgeführt werden. „Das Ziel lautet, bis 2030 Baurecht bei den Ortsumgehungen zu haben und bereits deutlich vorangekommen zu sein“, betonte IHK-Geschäftsführer Hans-Peter Langer. Große Sorgen bereiten zudem nach wie vor die Probleme mit den Schwertransporten. Gemeinsam mit anderen IHKs und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) dränge die IHK Siegen bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer auf ein bundesweites Netz verlässlicher Schwerlastrouten nach NRW-Vorbild. IHK-Vizepräsident Axel E. Barten erinnerte an die jahrelangen Arbeiten für die Schwerlastrouten in NRW: „Auf den Erfahrungen müssen die anderen Länder aufsetzen, damit nicht wieder so viel Zeit ins Land geht. Den Betrieben läuft die Zeit davon!“

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