175 Jahre WaldrichSiegen

Im Bild ein innovatives Maschinenkonzept: Portalfräsmaschine ProfiMill bei WaldrichSiegen in Burbach.

Eine Saga über Familienunternehmer, Manager und Wettbewerber

Firmengeschichten, vor al­lem die gedruckten, vermitteln häufig eine heile Welt, da der Mensch im Rückblick allzu gerne nur noch an die schö­nen Ereignisse denkt. Tatsächlich sehen Unternehmens­historien meist ganz anders aus, die Entwicklung zeigt nicht immer nach oben und Er­folge wechseln sich mit Misserfolgen und Rückschlägen ab. Einflüsse von außen wie Kriege, Inflation, allgemeine Wirtschaftskrisen und Marktveränderungen hinterlassen dabei genauso ihre Spuren wie die Entscheidungen der Menschen im jeweiligen Un­ternehmen. Bestes Beispiel dafür ist die Siegerländer Ma­schinenbaufirma WaldrichSiegen, die in diesem September ihr 175-jähriges Bestehen begehen wird.

Eine der ersten Walzendrehbänke der Firma H.A. Waldrich um 1900 mit Riemenantrieb und offenem Rädergetriebe.

Eine der ersten Walzendrehbänke der Firma H.A. Waldrich um 1900 mit Riemenantrieb und offenem Rädergetriebe.

Im Jahr 1840 gründete Hein­rich Adolf Waldrich auf der Sieghütte bei Siegen eine kleine Schmiede. 1863 erfolgte mit dem Bau einer Dampfmaschine für die eigene Werkstatt der Start in den Maschinenbau, 11 Jahre später tauchte H.A.Waldrich erstmals un­ter den zehn Maschinenfabriken des Handelskammerbezirks auf. Um 1897/98 fertigte Waldrich die erste Walzen­drehbank für die Firma Engelhardt Achenbach seel. Söhne (heute Achenbach Buschhütten) in Kreuztal und startete damit in den bis heute dominierenden Großwerkzeugmaschinenbau. 1906 trat mit Oskar Waldrich (1880 –1967) der Vertreter der dritten Familiengeneration in das kleine Unterneh­men mit seinen 20 Arbeitnehmern ein. Ab 1919 stand der Ingenieur fast ein halbes Jahrhundert an der Spitze des Un­ternehmens und führte es innerhalb eines Jahrzehnts in die internationale Spitzengruppe der Produzenten von Walzenbearbeitungsmaschinen.

Dr.-Ing.E.H. Oskar Waldrich (1880-1967). Foto von 1955.

Dr.-Ing.E.H. Oskar Waldrich (1880-1967). Foto von 1955.

„In der Person Oskar Waldrich begegnet uns ein Allround-Genie der Modernität in Siegerländer Facon“, charakterisierte ihn Gerhard Hufnagel in einer Biographie. Ausgestattet mit einer außeror­dentlichen technischen Be­gabung konstruierte er wegwei­sende Großwerkzeugmaschinen und setzte als „moderner“ Unternehmer mit choleri­schem Temperament und konzentrierter Energie auch früh auf Innovationen, Produkt-Marketing, Kundennähe, Exportaktivitäten und Service. Dennoch wäre die Unternehmerkarriere des Oskar Waldrich bereits in den An­fangsjahren haarscharf ge­scheitert. Während einer schwe­ren Wirtschaftsdepression 1925 schrumpfte die Zahl der Beschäftigten innerhalb we­niger Monate von 300 auf 125. Die Rettung kam im Jahr 1926 mit einem Großauftrag aus Moskau. Obwohl das Ge­schäft wegen langer Zahlungs­fristen und unzureichender Ga­rantien seitens der deutschen Reichsregierung kompliziert und riskant war, griff Oskar Waldrich nach dem Strohhalm, lieferte schwere Werkzeugmaschinen nach Russland und verdiente gut daran.

Halle 6 des Waldrich-Werkes III an der Siegener Leim­bachstraße, völlig demontiert, um 1949.

Halle 6 des Waldrich-Werkes III an der Siegener Leim­bachstraße, völlig demontiert, um 1949.

Der Zweite Weltkrieg und sein Ende brachten eine neue Zäsur für Waldrich. Die zwei Werke auf der Sieghütte wa­ren schwer zerstört, 1945 wurde der restliche Betrieb zwangs­weise stillgelegt und 1948 Werk III an der Siegener Leim­bachstrasse teilweise demontiert. Der einstige Wehr­wirtschaftsführer Oskar Waldrich wurde wegen seiner Ver­strickung mit dem braunen Regime für 14 Monate interniert und durfte auch danach zunächst seinen Betrieb nicht betreten. Er wohnte bis 1952 in seinem Jagdhaus in Ne­t­phen-Werthenbach, wo er neue Maschinen konstruierte und schließlich einen erfolgreichen Neuanfang als Unternehmer in der Bundespublik begann.

Eine 48 m lange und 11,5 m hohe Fräs- und Bohrmaschine fertigte Waldrich 1974 für ein dä­ni­­sches Unter­neh­men. Auf dem Werkstücktisch konnten Werkstücke in der Größe von sechs schweren LKW, je­­weils zwei nebeneinander geparkt, aufgespannt und bearbeitet werden.

Eine 48 m lange und 11,5 m hohe Fräs- und Bohrmaschine fertigte Waldrich 1974 für ein dä­ni­­sches Unter­neh­men. Auf dem Werkstücktisch konnten Werkstücke in der Größe von sechs schweren LKW, je­­weils zwei nebeneinander geparkt, aufgespannt und bearbeitet werden.

Vier Jahre nach Oskar Waldrichs Tod wurde 1971 die H.A. Waldrich GmbH an die Ingersoll Milling Machine Comp. in Rockford, Illinois/ USA, verkauft. Auf Grund riskanter Neukonstruktionen für den US-Markt durch die Nachfolger von Oskar Waldrich war das Unternehmen in den 1960er Jahren in die Verlustzone geschliddert und hatte mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen. Unter der Ingersoll-Führung, neuer Geschäftsführer wurde Helmut Belz, kam das Unternehmen zwar zunächst wieder schnell in die Gewinnzone und wurde nach Burbach verlagert, nachhaltig war der Erfolg aber letztlich nicht. „In der 33 Jahre währenden Ingersoll-Ära hatten Manager und keine Familien-Unternehmer das Sagen. Sie haben eher auf Bilanzzahlen geachtet statt Gewinne für schlechte Zeiten und für Investitionen anzusammeln. Unterm Strich wurde viel zu wenig investiert und Produkt-Innovation betrieben. Vor unserer Übernahme waren beispielsweise Walzendrehmaschinen von Waldrich technisch überholt und nicht mehr verkaufbar. Während der letzten 10 Jahre der Ingersoll-Ära erwirtschaftete WaldrichSiegen eine durchschnittliche Umsatzrendite von mageren 0,7 Prozent. Damit kann sich kein Unternehmen nachhaltig weiter entwickeln, geschweige denn investieren“, betont der heutige WaldrichSiegen-Geschäftsführer Christoph Thoma.

Christoph Thoma ersteigerte 2004 im Rahmen eines Bieterverfahrens die beiden Firmen WaldrichSiegen und Waldrich Coburg im vorgeschriebenen Paket, als sie im Rahmen eines Insolvenzverfahrens der US-Mutter Ingersoll International zum Verkauf standen. Die HerkulesGroup wurde damit zum Weltmarktführer bei Walzenbearbeitungsmaschinen. Das Pikante daran: WaldrichSiegen und das 1911 in Siegen-Kaan-Ma­rienborn gegründete Familienunternehmen Herkules wa­ren fast 100 Jahre lang im gleichen Segment Walzenbearbeitungs­maschinen erbitterte Kon­kurrenten auf den Märkten. Unter der Regie von Christoph Thoma wurden beide Waldrich-Firmen umstrukturiert und saniert sowie Waldrich Coburg im Herbst 2005 wieder verkauft.

Die Auszubildenden bei WaldrichSiegen haben nicht nur ihren künftigen Beruf im Blick, sie en­gagieren sich zum Beispiel auch für Kultur. Unser Bild von 2012 zeigt sie mit Apollo-Intendant Magnus Reitschuster und Ausbildungsleiter Torsten Tockhorn.

Die Auszubildenden bei WaldrichSiegen haben nicht nur ihren künftigen Beruf im Blick, sie en­gagieren sich zum Beispiel auch für Kultur. Unser Bild von 2012 zeigt sie mit Apollo-Intendant Magnus Reitschuster und Ausbildungsleiter Torsten Tockhorn.

„Nach zwei Jahren erreichte WaldrichSiegen mit dem Verkauf von Wal­zenbearbeitungsmaschinen und Großdrehmaschinen gute Umsatzrenditen auf dem Niveau von Herkules“, zieht Christoph Thoma anläßlich des Jubiläums ein positives Resumee. Hilfreich sei dafür die Hochkonjunkturphase von 2006 bis 2012 gewesen. Der vor allem von einer Sonderkonjunktur aus China, Korea und Japan getriebene Auftrags­eingang habe in der Spitze Lieferzeiten bei einzelnen Aufträgen von bis zu 48 Mo­na­ten verursacht und beispielsweise in einem Jahr der ge­samten Gruppe einen Re­kordauftragseingang in Höhe von 650 Mio. € beschert. Seit 2012 befindet sich die HerkulesGroup und damit auch WaldrichSiegen jedoch in schwerem Fahrwasser. Die Ursachen für die Krise sind vielfältig: Beispielsweise ge­sättigte Märkte in Asien, eine weltweite Schiffbau- und Ener­giekrise und Überproduk­tion an Stahl in China – alles Bereiche, in denen im weitesten Sinne Großwerkzeugmaschinen der HerkulesGroup zum Einsatz kommen. Darüber hinaus gibt es auch einen enormen Stau bei Ersatzinvestitionen.

Eine Drehmaschine zum präzisen Bearbeiten von riesigen Kurbelwellen - vom Burbacher Weltmarktführer im Großwerkzeugmaschinenbau.

Eine Drehmaschine zum präzisen Bearbeiten von riesigen Kurbelwellen – vom Burbacher Weltmarktführer im Großwerkzeugmaschinenbau.

„Wir betrachten dies alles als Herausforderung. Die Märkte zwingen uns zu Umstrukturierungen in der Gruppe. Dennoch werden die Standorte im Siegerland, in Ost-Deutschland, Österreich und USA in jedem Fall erhalten bleiben“, betont Christoph Thoma. Das gelte insbesondere auch für WaldrichSiegen in Burbach mit den dort vorhandenen hohen Hallen, großen Kränen und Portalfräsmaschinen. Es gehöre zur Un­ternehmenspolitik, gerade in der Krise bewusst an diesen Standorten zu investieren und Produkte weiter zu entwickeln. „Denn der nächste Aufschwung kommt bestimmt“. Das 175-jährige Bestehen von WaldrichSiegen wird am 19. September am Standort Bur­bach, wo heute insgesamt rund 400 Beschäftigte der HerkulesGroup tätig sind, gefeiert. „Na­türlich haben wir ei­gentlich derzeit andere Probleme. Wir veranstalten die Ju­­bi­läumsfeier aber aus Re­spekt vor der langen Geschichte von WaldrichSiegen und dem Engagement und den Leistungen der hier tätigen Menschen“, bekräftigt Christoph Thoma.

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