Reges Nachtleben nicht so wichtig wie schnelles Internet

Ein gut ausgebautes Telekommunikationsnetz ist für viele Menschen in Südwestfalen das wichtigste Attraktivitätsmerkmal einer Kommune – gefolgt von einem guten Gesundheitssystem, einer hohen Lebensqualität und einem gepflegten Ortsbild. Das haben WissenschaftlerInnen des Forschungskollegs der Uni Siegen (FoKoS) im Rahmen des Forschungsprojektes „Attraktivität von Städten und Gemeinden“ herausgefunden. Ziel war es, ein Online-Instrument zu schaffen, mit dem die „empfundene“ Attraktivität von Kommunen gemessen werden kann – also das, was Einwohner an ihrem Heimatort schätzen. Die ForscherInnen haben dazu eine Online-Befragung entwickelt, in der BürgerInnen angeben können, wie wichtig ihnen bestimmte Attraktivitätsmerkmale sind. Im zweiten Schritt geht es darum, die eigene Stadt oder Gemeinde anhand der Merkmale zu bewerten. Zwölf Kommunen in Südwestfalen haben sich an der Studie beteiligt.

Forschen am FoKoS zur „Attraktivität von Städten und Gemeinden“: Frank Luschei und Prof. Dr. Christoph Strünck.

Die Ergebnisse hätten ihn teilweise überrascht, sagt Projektleiter Frank Luschei: „Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass der Zugang zu schnellem Internet für die Südwestfalen ein so großes Thema ist. Offenbar sind längst nicht alle Orte mit entsprechenden Leitungen versorgt.“ Während die Nutzung moderner Kommunikationsmittel bei vielen also höchste Priorität hat, bleibt das Fahrrad offenbar eher in der Garage stehen. „Radwege und -Verbindungen“ gehören für die TeilnehmerInnen der Studie zu den weniger wichtigen Attraktivitätsmerkmalen einer Kommune, ebenso ein „reges Nachtleben“. Beide Kriterien finden sich am unteren Ende des Rankings. „In Südwestfalen fahren eben die wenigsten Menschen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Und ein aufregendes Nachtleben erwarten sie in ihren Heimatorten gar nicht erst“, erklärt Luschei.

Die Meinung ihrer BürgerInnen zu kennen, ist für Städte und Gemeinden nach Einschätzung des Diplom-Psychologen sehr wichtig: „Die subjektive Einschätzung der Bevölkerung hat einen großen Einfluss auf demografische Prozesse. Wenn Kommunen verstehen wollen, warum Menschen umziehen, brauchen sie Informationen von ihren Bürgern.“ In herkömmlichen Städte-Rankings spielten solche Informationen bislang jedoch keine Rolle, kritisiert Luschei: „Die Rankings beruhen in der Regel ausschließlich auf statistischen Daten zu Infrastruktur, Wirtschaftskraft oder der Arbeitsmarktentwicklung.“ Bei dem Projekt „Attraktivität von Städten und Gemeinden“ gehe es auch darum, diese Lücke zu schließen.

Detaillierte Informationen über „ihre“ Ergebnisse im Rahmen der Studie erhalten die Teilnehmer-Kommunen jeweils in einem ausführlichen Abschlussbericht. Einige haben ihre Berichte bereits bekommen, die Städte Freudenberg, Hilchenbach und Bad Laasphe zum Beispiel. Die Informationen seien aus ihrer Sicht „sehr wertvoll“, sagt Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke: „Positiv bewertet haben unsere Bürgerinnen und Bürger die medizinische Versorgung, die Einkaufsmöglichkeiten und das rege Vereinsleben. Ein Augenmerk müssen wir dagegen auf die Themen ‚gute und bezahlbare Wohnungen‘ und ‚günstige Lebenshaltungskosten‘ werfen.“ In Hilchenbach freut man sich über gute Bewertungen in Sachen „Naturerlebnisse“, „ruhige Wohngegend“ und „Kultur-, Sport- und Freizeitangebote.“  Im Hinblick auf die angestrebte Zertifizierung der Stadt als Luftkurort sei das besonders erfreulich, heißt es von der Stadtverwaltung. Verbesserungsbedarf gebe es dagegen bei den Einkaufsmöglichkeiten. Sie sind der Bevölkerung wichtig – haben aber gleichzeitig keine gute Bewertung bekommen.

Projektleiter Luschei wünscht sich, dass solche Erkenntnisse in den Kommunen politisch diskutiert werden. Politik und Verwaltung könnten daraus konkrete Fragestellungen und Handlungsempfehlungen für kommunalpolitische Entscheidungen entwickeln, empfiehlt der Forscher. In einigen Teilnehmer-Kommunen geschieht das bereits: In Freudenberg sollen die Ergebnisse aus der Studie in den aktuellen Leitbild-Prozess einfließen, in Bad Laasphe in das kommunale Entwicklungskonzept. Auch Hilchenbachs Bürgermeister Holger Menzel möchte die Erkenntnisse bei Entscheidungen zur künftigen Stadtentwicklung berücksichtigen: „Sie besitzen für uns einen beachtlichen Stellenwert. Auch wenn sie nicht repräsentativ sind, spiegeln die Ergebnisse ein Stimmungsbild in der Bevölkerung wieder.“ Maßnahmen zur Ansiedelung neuer Einzelhandels-Angebote habe die Stadtverwaltung beispielsweise schon ergriffen, so Menzel.

Rund 3.500 auswertbare Online-Fragebögen haben die WissenschaftlerInnen aus den Kommunen insgesamt zurückbekommen. Keine überragende Rücklaufquote, sagt Frank Luschei. Es sei schwierig, BürgerInnen zu erreichen und sie zur Teilnahme an der Befragung zu motivieren. Auch dies sei ein Ergebnis der Studie, die Luschei insgesamt aber als Erfolg wertet: „Repräsentativität war von Anfang an nicht unser Anspruch. Die Onlinemaske ist so aufgebaut, dass sie trotzdem empirische Untersuchungen ermöglicht.“ Städte und Gemeinden sollen die Befragung in Zukunft auch selbst durchführen können. Sie können dabei auch gezielt bestimmte Personengruppen wie „Ältere“ oder „Familien“ in den Fokus nehmen und deren Daten gesondert auswerten. Möglichkeiten, die auch überregional auf Interesse stoßen: Erste Anfragen zu dem Online-Fragebogen sind bereits bei den Siegener ForscherInnen eingegangen – unter anderem aus Hessen und Rheinland-Pfalz.

Kontakt: Frank Luschei (wiss. Mitarbeiter FoKoS), Tel.: 0271-740 4508, E-Mail: frank.luschei@uni-siegen.de

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