NRW: Ein Land der Träume!

Prof. Dr. Michael Hüther

„Wir haben vom Paradies geträumt und wachten auf in Nordrhein-Westfalen“. Mit diesem Satz zierte Joachim Gauck seine Rede zum 9. November 1999 im Deutschen Bundestag, was seinerzeit fröhliche Heiterkeit im Plenum auslöste. Heute wäre eher mit hämischem Gelächter zu rechnen. Denn unser Bundesland hat in den vergangenen 16 Jahren ein im Ländervergleich nur unterdurchschnittliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Die Arbeitslosigkeit ist verglichen mit den Flächenländern überdurchschnittlich, die Landesfinanzen sind in unverändert schwieriger Verfassung und das Investitionsgeschehen unbefriedigend. Kurz: Das bevölkerungsreichste Land der Bundesrepublik hängt durch.

Den Weg nach vorne findet man aus einer solchen Situation nicht mit Stückwerk und nicht mit Feuerwerk, sondern nur gesamthaft und strategisch. Das ist freilich leichter gesagt als getan. Einerseits bedarf es einer klaren und akzeptierten Sicht auf die Probleme und Herausforderungen sowie die Schwächen und Stärken. Andererseits muss Politik darauf konzeptionell antworten, und zwar mit langem Atem. Das verlangt im demokratischen Gruppenstaat, indem stets unterschiedliche Interessen mit aus der jeweiligen Sicht hoher Legitimation verhandelt werden müssen, eine besonders überzeugende Begründung der gewählten politischen Strategie. Dafür gilt: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Deshalb ist zu empfehlen, bei den Stärken des Landes zu beginnen.

Ermutigend ist zunächst, dass Nordrhein-Westfalen starke Potenzialfaktoren hat: Dazu zählt zunächst eine reichhaltige Industriestruktur, die sich in allen Regionen des Landes findet und in Clustern sowie Netzwerken verankert ist. Die Unternehmen des Industrie-Dienstleistungsverbundes sind international wettbewerbsfähig und vielfach als Weltmarktführer sowie Hidden Champions unterwegs. Vielfältige und starke Forschungsinstitutionen, industrielle Verbundforschung und eine gut ausgebaute Hochschullandschaft sind ebenso auf der Habenseite zu finden.

Schließlich ist die Digitalisierung als Treiber des Strukturwandels in NRW stärker in der Wirtschaft angekommen als im bundesdeutschen Schnitt. Mehr noch: NRW hat hier in den letzten Jahren deutlich aufgeholt. Das gilt für mehrere Aspekte der digitalen Transformation. So konnten in unserem Bundesland in kurzer Zeit über 1000 neue Startups für die digitale Wirtschaft entstehen. Bei dem in dieser Hinsicht sich eher langsam bewegenden kleineren und mittleren Unternehmen ist der Digitalisierung mittlerweile stärker als im Bundesdurchschnitt. Und bei den Industrieunternehmen wird NRW sogar zu einem Paradebeispiel für den digitalen Wandel. Besonders bedeutsam ist dafür, dass die etablierten Unternehmen bereits in beachtlichem Umfang mit Startups kooperieren, so dass neue Netzwerke als künftige Wachstumstreiber entstehen.

Aus alldem folgt: Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist nicht das Problem. Sie zu stärken und noch wirksamer werden zu lassen, darin liegt das Potenzial guter Standortbedingungen. Da kann und muss NRW an vielen Stellen besser werden: Der Umfang der frühkindlichen Betreuung, die Qualität der schulischen Bildung, die verlässliche Grundfinanzierung der Hochschulen, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und die Nutzung modernster Mobilitätssteuerung durch die Digitalisierung, die Effizienz der Verwaltung und die Last der Bürokratie sowie die öffentliche Sicherheit. Es sind für sich genommen eigentlich überschaubare Themen mit hoher Konsensneigung. Doch in der Summe fügen sie sich erst zusammen, wenn mit klarer Linie und verlässlich solider Finanzpolitik ein Gesamtrahmen definiert wird.

Die Perspektiven, die bei einer solchen Anstrengung als konzertierte Aktion aller Akteure guten Willens entstehen können, sind beachtlich. Die Potentialfaktoren des Landes NRW sind stark. Daraus etwas zu machen, sollte Ansporn sein, in anderen Dimensionen zu denken. NRW als Land der Träume für Lebenschancen und Leistungseinkommen anstatt als Land der Alpträume für Staatsversagen.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im NRW-Wirtschaftsblog „Klartext im Westen“. Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und Gerda Henkel Adjunct Professor 2016/17, Stanford University, CA, USA.

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