„Die schweigende Mehrheit beachtet niemand“

IHK-Präsident Felix G. Hensel (links) begrüßte Arndt G. Kirchhoff (rechts) zur IHK-Vollversammlung der IHK Siegen.

„Wenn früher Licht am Ende des Tunnels erschien, haben wir Deutschen stets den Tunnel verlängert. Das ist vorbei. Von der vielfach zitierten „German Angst“ ist derzeit nicht mehr viel zu spüren. Das ist auch gut so!“ Mit diesen Worten beschrieb Arndt G. Kirchhoff in der jüngsten Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) anschaulich das aus seiner Sicht vorherrschende Klima innerhalb der deutschen Industrie. „Unsere industriellen Aussichten sind das Zukunftsthema schlechthin“, verdeutlichte der Präsident der Arbeitgeberverbände NRW. Mit ihren rund 7 Millionen Beschäftigten stelle die deutsche Industrie und die sie prägenden Wertschöpfungsketten qualitativ hochwertige Produkte her, die sich von den Wettbewerbern im Ausland deutlich abhöben. Deutschland sei vom „kranken Mann des Kontinents“ wieder zur Wachstumslokomotive Europas geworden. Die Stärke der heimischen Industrie hätte wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland sich über vergleichsweise niedrige Arbeitslosen- und Jugendarbeitslosenquoten freuen könne. Gleichwohl dürfe man die aktuellen Herausforderungen nicht übersehen, warnte der Attendorner Unternehmer. Dazu gehörten ein fragiles und unsicheres internationales Umfeld, die Flüchtlingsströme, die Schuldenkrise, der Brexit und der Präsidentenwechsel in den USA ebenso wie die unsichere Lage im Nahen Osten.

Trotz allem wirtschaftlichen Erfolg vermisste Kirchhoff wichtige Weichenstellungen. „Wir dürfen auf keinen Fall im Erfolg die größten Fehler machen! Stichwort Bildung: Es gibt zu wenige Spitzenleistungen.“ Die Unternehmen müssten sich um einen intensiveren Kontakt zu den Hochschulen bemühen. In Siegen sei in dieser Hinsicht in der jüngeren Vergangenheit einiges geschehen. „Unter anderem dadurch hat die heimische Universität deutlich an Profil und Exzellenz gewonnen.“ Oder die Ausbildungssituation: „Ein Sechstel bis ein Fünftel aller Jahrgänge sind derzeit nicht ausbildungsfähig“, kritisierte er. „Lassen Sie nicht nach, jungen Leuten eine zweite Chance zu geben“, forderte Kirchhoff mit Blick auf den Fachkräftemangel. Auch beim Thema Digitalisierung gebe es Mängel, zeigte der gebürtige Essener auf. So sollten vor allem Lehrer weitergebildet werden, sie müssten sehr viel stärker dazu angehalten werden, mit der Wirtschaft zu kooperieren. „Hier müssen wir viel schneller werden, sonst werden unsere Kinder nicht mehr zeitgemäß ausgebildet.“ Bekanntermaßen stelle die Verkehrsinfrastruktur ebenfalls ein Manko dar. Kirchhoff: „Wir haben unseren Schwerlastverkehr, der weder aus der Region heraus noch in sie hineinkommt.“ Hier vermisse er unkonventionelle Lösungen, indem beispielsweise Brücken, anstatt sie abzulasten, als Übergangslösung mit weiteren Pfeilern unterbaut würden. Die vielerorts nicht vorhandenen schnellen Datenleitungen mahnte er ebenfalls an. „Wir in Attendorn sind gezwungen, uns selbst zu helfen. Das kann es doch nicht sein!“ Grundsätzlich müssten in Deutschland wieder die richtigen Prioritäten gesetzt werden. „Wir neigen dazu, auf Herausforderungen mit Regulierungsdebatten zu antworten“, konstatierte Kirchhoff. Beispielsweise in der Schaffung von Gewerbeflächen, von denen die Industrie mehr benötige. „In Industriegebieten kann es nicht sein, eigens Artenschutzgutachten anfertigen lassen zu müssen. Entweder wir haben ein Industriegebiet, oder wir haben keins.“ Daher brauche die Politik ein „neues Grundempfinden für die Industrie: Wir benötigen Vertrauen, nicht aber Misstrauen; wir brauchen Akzeptanz, nicht jedoch Widerstand. Und wir sollten die Industrie als notwendig ansehen, wenn wir stark bleiben wollen.“

Auch die Politik nahm Arndt G. Kirchhoff in die Pflicht. In den Medien kämen vorwiegend die Reichen und die Armen vor. „Die schweigende Mitte beachtet niemand.“ Sie aber trage die Leistungsgesellschaft, die eine Politik der Reallohnsteigerungen erst ermögliche. „Und das sind unsere Mitarbeiter, die Basis für die Industrie und unseren Wohlstand“. Hierzulande müsse die neue NRW-Regierung schnell dafür sorgen, dass sich im Land die Rahmenbedingungen änderten: „Wir sind es satt, Schlusslicht zu sein.“ Im Prinzip funktioniere die Wirtschaft als Dreieck, symbolisierte Kirchhoff abschließend: die Ökonomie an der Spitze, gestützt auf soziale Projekte und Ökologie. „Das Dreieck darf man nicht auf den Kopf stellen. Wenn wir uns daran halten, dann bin ich überzeugt, dass wir den Wohlstand halten können. Der Schlüssel dazu ist eine funktionierende nachhaltige Industrie.“

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