Das Personal wird zum Engpassfaktor für den heimischen Handel

Die heimischen Handelsunternehmen sehen sich erheblichen strukturellen Herausforderungen ausgesetzt, die vielfach nicht hinreichend wahrgenommen werden. Gerade der heimische Facheinzelhandel muss Alleinstellungsmerkmale ausprägen, um seine Attraktivität im zunehmend intensiver werdenden Wettbewerb behaupten zu können. Hierzu bedarf es vor allem intensiver Anstrengungen, die eigene Personal- und Ausbildungsarbeit weiter zu professionalisieren. Dies ist die Kernbotschaft einer neuen Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen, deren zentrale Ergebnisse jetzt im Rahmen eines Pressegesprächs vorgestellt wurden.

IHK-Hauptgeschäftsführer Franz J. Mockenhaupt verdeutlichte bei der Präsentation, man habe nicht nur den Status quo beschreiben, sondern zugleich einige Bausteine für ein Strategiekonzept erarbeiten wollen. Die von der IHK entwickelten Maßnahmen fußten auf zwei im März und im April durchgeführten Erhebungen. Knapp 200 Einzelhandelsbetriebe seien zu einzelnen Elementen ihrer Personal- und Ausbildungsarbeit befragt worden. Zugleich hätten 536 Auszubildende die betriebliche Ausbildungsqualität im regionalen Handel eingeschätzt. Franz J. Mockenhaupt: „Dabei wurde deutlich: Die Herausforderungen sind zwar erheblich, jedoch auch beherrschbar. Hierzu müssen unterschiedlichste Akteure an einem Strick ziehen. Gefordert sind dutzende kleiner Schritte. Hierzu muss zunächst das Problembewusstsein der Branche noch weiter geschärft werden. Dem dient unsere Schrift.“

Der stationäre Einzelhandel müsse auf die Internet-Konkurrenz mit zusätzlichen Serviceangeboten, Nischenprodukten und gegebenenfalls mit einem höheren Spezialisierungsgrad antworten. Wichtig sei auf jeden Fall die persönliche Bindung des Kunden in der Fläche, betonte der Vorsitzende des IHK-Einzelhandelsausschusses, Michael Schreiber: „Der Facheinzelhandel wird sich gegenüber dem Onlinehandel immer stärker differenzieren müssen. Hierzu benötigen wir vor allem kreatives Personal. Morgen noch stärker als heute bereits. Die Personalförderung muss noch intensiver als Verkaufsförderung begriffen werden.“ Die Kundschaft werde anspruchsvoller, „bunter“ sowie technik-affiner. Schreiber: „Zugleich nutzen die Kunden mittlerweile eine unüberschaubare Anzahl an Preissuchmaschinen und sonstigen Instrumenten im Internet. Dieser Herausforderung müssen die Unternehmen aktiv und auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Strategie begegnen. Ansonsten werden bestehende Marktchancen nicht hinreichend genutzt.“

Bereits 55 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, es sei generell schwieriger geworden, geeignetes Personal für eine Tätigkeit im Handel zu finden. 77 Prozent der Unternehmen bemühen sich schon während der Schulzeit darum, geeignete Auszubildende über das Instrument betrieblicher Praktika an sich zu binden. Daneben werden auch die Dienstleistungen der Agentur für Arbeit (53 Prozent) sowie die „persönliche Schiene“ über Bekannte und Verwandte (50 Prozent) häufig genutzt, um Personal zu finden und es zu binden.

Lediglich 7 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, direkt in die Schulen zu gehen, um über den eigenen Betrieb und die in diesem Betrieb angebotenen Ausbildungsberufe zu informieren. IHK-Geschäftsführer Klaus Gräbener: „Dass 28 Prozent der Unternehmen über keinerlei Kontakte zu Schulen verfügen, ist bedenklich. Zwar haben kleine Handelsunternehmen nicht die Möglichkeiten, über die die Industrie verfügt, dennoch gibt es hier jede Menge „Luft nach oben“. Zudem wäre es sinnvoll, noch mehr Firmen für Zusatzqualifikationen und Auslandsaufenthalte ihrer Lehrlinge begeistern zu können.“

Skeptisch äußerten sich die Unternehmen hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten von im Ausland angeworbenen Fachkräften und auch von langzeitarbeitslosen Personen. Für die Auszubildenden sind das Betriebsklima (42 Prozent), der Umgang mit den Mitarbeitern (36 Prozent), die betrieblichen Praktika (34 Prozent) sowie der gute Ruf und das Image des Unternehmens (33 Prozent) bei der Lehrstellenwahl entscheidend. Deutlich dahinter lagen die Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten (26 Prozent) oder die guten Verdienstmöglichkeiten (16 Prozent). Bedenklich aus Sicht der IHK erscheint, dass ein Viertel der Auszubildenden den Handel in der Tendenz eher aus „Verlegenheit“ wählt. Nur 24 Prozent der 536 befragten Lehrlinge gaben an, im Handel den Wunschberuf gefunden zu haben. 25 Prozent meinten, sie hätten einfach keine andere Lehrstelle gewonnen.

In der Befragung wurde auch ein gewisser Widerspruch in der Einschätzung der jungen Menschen deutlich. Während einerseits 41 Prozent aller Befragten bereits einmal über einen Ausbildungsabbruch nachgedacht haben, halten andererseits fast 80 Prozent der jungen Menschen das Betriebsklima in ihrem Unternehmen insgesamt für sehr gut, gut oder befriedigend. Klaus Gräbener: „Die Masse der Auszubildenden schätzt ihre Ausbildung offenkundig positiv ein, während es auf der anderen Seite einen harten und unübersehbaren Kern an jungen Leuten gibt, der sehr unzufrieden mit der eigenen Ausbildungswahl erscheint. Hier muss der Handel seine Personalauswahl zukünftig treffsicherer als bisher gestalten.“

DGB-Regionsgeschäftsführer Werner Leis betonte, man habe sich im IHK-Berufsbildungsausschuss intensiv mit den Studienergebnissen befasst. Arbeitgeber und Arbeitnehmer seien sich dabei einig: Es komme vor allem darauf an, „wirkliche Ausbildungsqualität“ zu leben. Das eigenverantwortliche Handeln junger Menschen sowie die ihnen entgegengebrachte Wertschätzung seien von zentraler Bedeutung. Wichtig wären zudem strukturierte Mitarbeitergespräche, zwischenbetriebliche Ausbildungskooperationen, strukturierte Praktika sowie intensivere Kooperationen mit Schulen. Auch müssten stärkere Anstrengungen unternommen werden, die eigenen Ausbilder umfassend zu schulen. Werner Leis warb dafür, nicht auf schnelle Problemlösungen zu hoffen, sondern die Professionalisierung der Personal- und Ausbildungsarbeit als einen langfristig angelegten Prozess zu begreifen: „Die Frage ist nicht allein, ob die Unternehmen in fünf oder zehn Jahren noch Auszubildende bekommen. Vor allem geht es um die Steigerung der betrieblichen Attraktivität. Die Branche muss von allen jungen Menschen als attraktive Alternative wahrgenommen werden, auch von den besonders leistungsfähigen.“

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