Das größte Friedensprojekt der Menschheitsgeschichte

Der französische Aussenminister Robert Schuman, hier bei der Unterzeichnung des Schuman-Plans im französischen Außenministerium, gehört zu den Gründervätern der Europäischen Union.

Die europäische Geschichte ist über viele Jahrhunderte geprägt worden durch nationale Rivalitäten, Resontiments, und militärischen Konflikte. Vom hundertjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg zieht sich eine Kette von gewaltsamen Auseinandersetzungen, die den Kontinent zum Teil in seinen Grundfesten erschüttert haben. Und dennoch haben es die Menschen in Europa immer wieder geschafft, diese einschneidenden Ereignisse zu überwinden. Der westfälische Friede zu Münster und Osnabrück ist dafür ein Beispiel. Nach jahrelangen Verhandlungen beendete er die Apokalypse des dreißigjährigen Krieges. Es dauerte weitere Jahrhunderte mit zum Teil blutigsten Auseinandersetzungen, bis die Europäer wieder gemeinsam versuchten, an einer dauerhaften Friedenslösung für den Kontinent zu arbeiten.

Heute leben wir in einem weitgehend vereinten Europa. Seit 70 Jahren herrscht Frieden. Wir leben in Freiheit und können innerhalb Europas reisen und arbeiten, wohin und wo wir wollen. Alte Feinde wurden zu neuen Freunden. Das gilt insbesondere für Frankreich und Deutschland. Wer könnte sich heute noch vorstellen, gegen Frankreich oder England in den Krieg zu ziehen. Auch die deutsche Einheit ist letztlich das Ergebnis der europäischen Integration. Der gemeinsame Markt sorgt für Arbeitsplätze und Wohlstand. Mit über 500 Millionen Menschen ist Europa einer der größten Wirtschaftsräume in der Welt.

Das alles ist für viele Menschen, vor allem aus der jüngeren Generation inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Doch der Weg, der dazu geführt hat, dass wir so leben können, wie wir heute in Europa leben, der Weg war steinig und ist es auch weiterhin. Die Herausforderungen an Europa sind groß. Das zeigen nicht nur die internen Krisen, der Brexit oder die Handelsauseinandersetzungen mit den USA. Aber dennoch ist und bleibt Europa, die Europäische Union das größte Friedensprojekt der Menschheitsgeschichte. Daran sollten wir uns stets erinnern, auch wenn wir uns über manche auf den ersten Blick unsinnige Verordnungen der EU ärgern. Wie es dazu kam, dass Europa zu dem wurde, was es heute ist, soll deshalb in den folgenden Ausführungen noch einmal in Erinnerung gerufen werden.

Die Entstehung der Europäischen Union ist nur vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs verständlich. Als der von Deutschland begonnene und verlorene Krieg zu Ende war, bestand große Unsicherheit, wie es nun in Europa weitergehen solle. Zum einen zog der Ost-West-Konflikt auf, da die wichtigsten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs – die USA und Großbritannien auf der einen, die Sowjetunion auf der anderen Seite – sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie das Nachkriegseuropa aussehen sollte. Zum anderen befürchtete man insbesondere in Frankreich, das geschlagene Deutschland könnte in absehbarer Zeit wieder zu Kräften kommen und erneut zur Bedrohung werden. Der Erste Weltkrieg war in den Nachbarländern noch gut in Erinnerung. Auch 1918 war Deutschland besiegt worden – und nur gut 20 Jahre später wurde Paris von deutschen Truppen eingenommen.

Es galt also, zwei Fragen gleichzeitig zu lösen: Wie konnte der Westen trotz eines teilweisen Rückzugs amerikanischer Truppen genügend Stärke aufbringen, um gegen die Sowjetunion und eine mögliche Bedrohung durch sie bestehen zu können, und wie konnte Deutschland in ein solches Konzept eingebunden werden, ohne seinerseits zur Gefahr für seine Nachbarn zu werden?

Die Antwort gab der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950, also genau fünf Jahre nach Kriegsende. Er schlug eine „Montanunion“ vor, eine Vereinigung der deutschen und der französischen Schwerindustrie, an der teilzunehmen andere Staaten ausdrücklich eingeladen waren. Das Besondere an Schumans Vorschlag war die gemeinsame Verwaltung der Kohle- und Stahlindustrie. Das ging weiter als die üblichen internationalen Vereinbarungen. Hier musste jeder der beteiligten Staaten ein Stück nationaler Souveränität aufgeben, die dann gemeinsam ausgeübt wurde. 1951 erfolgte die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS oder: Montanunion).

Am 25. März 1957 wurden dann in Rom die Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, Euratom) von den Vertretern der Regierungen Belgiens, der Niederlande, Luxemburg, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Italiens unterzeichnet. Mit den beiden Verträgen wurde der nächste, noch bedeutendere Schritt der europäischen Integration unternommen. Die Ziele waren: der Aufbau einer Zollunion mit einem gemeinsamen Außenzoll; der Abbau interner Handelshemmnisse und Errichtung eines gemeinsamen Marktes; die Bewegungsfreiheit für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sowie die engere Zusammenarbeit in der friedlichen Nutzung der Atomenergie.

Die institutionelle Struktur und die Organe der EGKS (Parlament, Kommission, Rat, Gerichtshof, Wirtschafts- und Sozialausschuss) wurden für alle drei europäischen Gemeinschaften übernommen. Die Regelungen traten am 1.1.1958 in Kraft. Sie gehen zurück auf die Konferenz von Messina vom 1.–3.6.1955, auf der die europäischen Außenminister ihren belgischen Kollegen Paul-Henri Spaak damit beauftragten, einen Bericht zu erarbeiten, auf dessen Basis die späteren Verhandlungen geführt wurden. Der Hintergrund dieses neuerlichen Versuchs, die Pläne einer engeren Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaftspolitik und der Atomenergie zu konkretisieren, war das Scheitern des Vertrags zur Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954. Dieses Scheitern brachte die Befürworter zu der Überzeugung, dass eine europäische Zusammenarbeit auch und vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet notwendig sei. Damit fand die Idee einer Zollunion und der Errichtung eines gemeinsamen Marktes und alle damit zusammenhängenden Maßnahmen die notwendige Unterstützung.

1973 kam es zur ersten Vergrößerung der Europäischen Gemeinschaft, der Westerweiterung. Neben Großbritannien traten auch Irland und Dänemark bei. Die norwegische Regierung wollte ihr Land ebenfalls in die europäische Integration führen. Allerdings wurde der ausgehandelte und unterschriebene Beitrittsvertrag von der Bevölkerung abgelehnt – 1994 geschah dieses ein weiteres Mal.

Bis zur ersten Erweiterung hatten die Europäischen Gemeinschaften schon einige Entwicklungsschritte hinter sich gebracht. Als erstes hatte sich die EWG Schaffung einer Zollunion vorgenommen, mit deren Realisierung man 1959 begann. Dieses Ziel, für das man sich zehn Jahre Zeit lassen wollte, wurde 1968, erreicht. Zollunion hieß: Freier Handel im Inneren der Gemeinschaft und gemeinsame Außenzölle. 1967 wurden die drei bis dahin selbstständigen Gemeinschaften zur Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengelegt und mit gemeinsamen Institutionen ausgestattet. Seitdem gibt es die Europäische Kommission, den Rat der Europäischen Union und ein Europäisches Parlament.

Der EGKS-Vertrag („Montanunion“) war übrigens der einzige, der zeitlich befristet war. Er hatte eine Laufzeit von 50 Jahren und endete 2002. Seine Regelungen wurden in den EG-Vertrag übernommen, der die Bestimmungen für EWG und EAG zusammenfasste. Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags 2009 ist das Vertragswerk neu strukturiert und besteht aus dem EU-Vertrag (EUV) sowie dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Als erste gemeinschaftliche Politik wurde die Agrarpolitik entwickelt, was mit den Hungererfahrungen des Krieges und der Nachkriegszeit genauso zu tun hatte wie mit der Bedeutung, die der Landwirtschaft in den EG-Ländern nach wie vor zukam, vor allem in Frankreich.

Eine neue Aufgabe stellte sich der Gemeinschaft in den 1970er-Jahren durch die Entwicklungen in Südeuropa. Griechenland, Portugal und Spanien hatten – durch eine Revolution oder schrittweise – ihre Diktaturen überwunden, waren aber von politischer und wirtschaftlicher Stabilität weit entfernt. Die Europäische Gemeinschaft sah eine wichtige Aufgabe darin, sie in das europäische Geflecht einzubinden, was sie durch die Süderweiterung der Jahre 1981 (Beitritt Griechenlands) bzw. 1986 (Beitritt Spaniens und Portugals) tat.

Neuen Schwung erhielt die europäische Integration durch die Einheitliche Europäische Akte, eine Revision der Gründungsverträge, die 1987 in Kraft trat. Mit ihr wurde der Europäische Binnenmarkt geschaffen, der seit 1993 offiziell besteht und bis heute schrittweise ausgeweitet wurde. Der Binnenmarkt ist gegenüber einer Zollunion ein wesentlicher Schritt zu mehr Gemeinsamkeit. In ihm werden die vier Freiheiten verwirklicht. Kurz gesagt: Jeder kann innerhalb der Gemeinschaft einkaufen, Dienstleistungen beziehen oder anbieten, arbeiten und investieren, wo er will. Durch das Binnenmarktprojekt, das wesentlich auf den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, zurückgeht, wurde die Europäische Gemeinschaft enger zusammengeführt.

Bereits 1993 war der Maastrichter Vertrag in Kraft getreten. Er war nach der Einheitlichen Europäischen Akte die zweite Reform der Gründungsverträge. Das Wichtigste, was dieser Vertrag regelt, ist sicherlich die Währungsunion, also die Einführung des Euro, die dann 1999 Wirklichkeit wurde. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde auch die Europäische Union geschaffen: als das gemeinsame Dach für die Europäische Gemeinschaft, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die ebenfalls durch Maastricht ins Leben gerufen wurde, sowie die Rechts- und Innenpolitik der Union. 2009 sind diese sogenannten drei Säulen durch den Lissabonner Vertrag genauso wie die Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union aufgegangen.

Mitte der 1990er-Jahre bestand die Europäische Union aus 15 Staaten, bildete einen Binnenmarkt, entwickelte eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und nahm Kurs auf eine Gemeinschaftswährung. Aber die nächste große Herausforderung stand ihr bereits bevor: Viele europäische Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Vorherrschaft der Sowjetunion entronnen, strebten die Mitgliedschaft in der EU an.

Die Europäische Union, ursprünglich Europäische Gemeinschaft, war immer auf das gesamte Europa angelegt. Deshalb war es für die EU auch keine Frage, mit der neuen Situation entsprechend ihren Grundsätzen umzugehen. Sie signalisierte den mittel- und osteuropäischen Staaten, dass sie willkommen seien, und legte Bewertungsmaßstäbe fest, an denen die Kandidaten sich messen lassen mussten. Da der entsprechende Beschluss des Europäischen Rates 1993 in der dänischen Hauptstadt gefällt wurde, spricht man seitdem von den Kopenhagener Kriterien. Sie legen fest, dass ein Staat nur in die EU aufgenommen werden kann, wenn er rechtsstaatlich und demokratisch verfasst ist, wenn seine Wirtschaftsordnung marktwirtschaftlich und in der Lage ist, dem Druck der EU-Marktkräfte stand zu halten, und wenn darüber hinaus die Bereitschaft und Fähigkeit besteht, das Gemeinschaftsrecht der EU (den sogenannten Acquis Communautaire) zu übernehmen und anzuwenden.

Die Voraussetzung, überhaupt Verhandlungen über den Beitritt aufzunehmen, ist die Erfüllung des politischen Kriteriums: Mit einem Land, das nicht eindeutig demokratisch ist, redet die EU nicht über eine eventuelle Mitgliedschaft.In den Verhandlungen geht es ausschließlich um die Frage, wie schnell die Regelungen akzeptiert und implementiert werden. Es wird lediglich über Übergangszeiten verhandelt, nicht über die Substanz der Verträge selbst.

1997 nahm die EU mit sechs Staaten (Polen, Tschechien, Estland, Ungarn, Slowenien und Zypern) Gespräche auf, 1999 mit sechs weiteren Ländern (Slowakei, Lettland, Litauen, Malta, Bulgarien und Rumänien). Im Jahr 2004 kam es dann zur großen Osterweiterung, alle Kandidaten wurden in die EU aufgenommen. Lediglich bei Rumänien und Bulgarien verzögerte sich der Beitritt noch bis 2007. 2013 setzte sich der Erweiterungsprozess durch die Aufnahme Kroatiens fort.

Mit dem Lissabonner Vertrag ist die institutionelle Reform der Europäischen Union auf absehbare Zeit abgeschlossen. Die größte Herausforderung, vor der die Union steht, ist die Bewältigung der Finanzkrise durch die Mitgliedstaaten sowie die Abwehr der Gefahren für den Euro. In der Bevölkerung gibt es hohe Erwartungen an eine koordinierende und korrigierende Rolle der EU, andererseits aber auch Misstrauen gegen „zu viel Europa“. Eine wichtige Aufgabe der EU wird sein, überzogene Erwartungen und zu großes Misstrauen zu dämpfen und die Zustimmung der Bürger zur europäischen Integration zu erhalten. Hierzu kann auch ein stärkeres gemeinsames Auftreten der EU und ihrer Mitgliedstaaten in internationalen Angelegenheiten beitragen.

Quelle und weitere Informationen: http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/

 

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