„Auf die Herausforderungen der Zukunft gibt es nur eine Antwort: Europa“

Volles Haus beim Vortrag von Professor Dr. Norbert Lammert in Siegen.

„Wenn wir dieses Europa versemmeln, dann hätten wir Anspruch auf den Titel der dämlichsten Generation, die jemals in Europa gelebt hat“. Das war eine klare Aussage von Professor Dr. Norbert Lammert gestern Abend im Haus der Siegerländer Wirtschaft in Siegen. Auf Einladung der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein sprach der ehemalige Präsident des deutschen Bundestages und jetzige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung zu dem Thema: „Zwischen Brexit, Flüchtlingskrise und Populismus – europäische Herausforderungen im 21. Jahrhundert“. Wenige Tage vor der Wahl zum europäischen Parlament am 26. Mai 2019 machte er deutlich, dass der Zusammenschluss der europäischen Nationalstaaten zu einer Gemeinschaft vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen  Entwicklungen alternativlos sei. „Wer heute glaubt, die Herausforderungen der globalisierten Welt nationalstaatlich lösen zu können, der möge sich bitte bei mir melden. Ich habe bisher noch niemanden gefunden.“ Auch unter den  fast 300 Zuhörerinnen und Zuhörer im Haus der Siegerländer Wirtschaft fand sich niemand.

Dipl.-Ing. Jörg Dienenthal, Vorsitzender der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein, dankte Norbert Lammert für seinen eindrucksvollen Vortrag.

Historisch gesehen hat sich Europa nie in einer besseren Verfassung befunden als heute. In allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gibt es demokratisch gewählte Parlamente. Die Zustimmung der Menschen zu Europa ist hoch. Gleichzeitig befindet sich die Europäische Union aktuell in ihrer miserabelsten Lage. Globalisierung und Digitalisierung und die damit verbundenen schnellen Veränderungen haben dazu geführt, dass viele Menschen zunehmend verunsichert sind. Der zunehmende Populismus ist eine Reaktion auf diese Veränderungen. Das ist eine Entwicklung, die derzeit in aller Welt stattfindet. „Wer hätte beispielsweise vor zehn Jahren gedacht, dass heute ein Populist an der Spitze der Vereinigten Staaten von Amerika steht und mit seine Devise ‚America first‘ die bekannte Welt grundlegend verändert“, so Norbert Lammert.

In Italien, einem Gründungsmitglied der Europäischen Union, ist die Europaskepsis inzwischen ebenfalls Kernelement der Politik. „Wir stellen unsere eigene Zuständigkeit wieder her und lösen damit unsere Probleme“, so lautet nicht nur dort die Devise der Populisten. Aber das ist ein Trugschluss, denn nach Ansicht von Norbert Lammert entziehen Globalisierung und Digitalisierung den Nationalstaaten die Grundlage ihrer eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. „Immer mehr Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind auf diese Weise nicht mehr regelbar.“ Lammert nannte in diesem Zusammenhang beispielsweise die Migration, den Klimawandel, den internationalen Terrorismus oder die Steuerung der internationalen Finanzmärkte. „Mitte der 90er Jahre war das weltweite Sozialprodukt etwa achtmal so groß wie das Finanzprodukt. Heute ist das Sozialprodukt viermal so groß wie damals, das Finanzprodukt aber zweihundertmal so groß.“ Die virtuelle Wirtschaft ist inzwischen ebenfalls zehnmal so groß, wie die Realwirtschaft. „Welcher Nationalstaat wäre noch in der Lage, das zu regeln oder zu kontrollieren“, so Lammert.

Auf diese Herausforderungen gibt es nur eine Antwort und die lautet „Europa“. Selbst die Briten werden nach ihrem Austritt aus der Europäischen Union, wenn er denn tatsächlich stattfindet, feststellen müssen, dass sie dann nur noch eine mittelgroße Insel in der Nordsee sind. Davon ist Norbert Lammert überzeugt.

„Solange wir um unsere Freiheit gekämpft haben, wussten wir, was wir wollten. Jetzt sind wir frei und wissen es nicht mehr.“ Dieses Zitat von Václav Havel, des ehemaligen Staatspräsidenten der Tschechoslowakei und von 1993 bis 2003 erster Staatspräsident der Tschechischen Republik, beschreibt nach Ansicht von Norbert Lammert sehr gut den aktuellen Zustand der Europäischen Union. Deshalb findet er auch einen Vorschlag von Jean-Claude Juncker, dem amtierenden Präsidenten der Europäischen Kommission, sehr sympathisch. „Um den Menschen vor Augen zu führen, was sie an Europa haben, hatte Juncker vor einigen Jahren die Idee, die EU eine Woche lang in den Zustand vor der Einigung zurück zu versetzen.“ Natürlich ist das so nicht möglich, aber es würde den Menschen sehr eindrucksvoll klar machen, was sie an Europa haben, so Lammert.

„Wir selber haben es in der Hand. Wir sind die Ersten, die über das Schicksal Europas selber entscheiden können. Wir sind verantwortlich, was mit Europa geschieht. Wir sind die Herren und Damen über unsere eigene Zukunft.“ Deshalb appellierte Norbert Lammert auch an die zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer: „Gehen Sie am 26. Mai zur Wahl und geben Sie Europa Ihre Stimme.“

Diesem Aufruf hatte sich Dipl.- Ing. Jörg Dienenthal, Vorsitzender der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein, bereits in seiner Begrüßung angeschlossen. „Europa ist das Beste, was uns Deutschen insbesondere passiert ist. Der gemeinsame Markt sorgt für wirtschaftliche Entwicklung, Arbeit und Wohlstand. Wir können innerhalb der EU frei reisen, wir können selber bestimmen, wo wir leben und arbeiten wollen und wir können bereits in vielen Ländern mit einer gemeinsamen Währung bezahlen. Alles das sind Errungenschaften, die für viele Menschen in Europa inzwischen selbstverständlich sind, aber über viele Jahrhunderte von Konflikten und Auseinandersetzungen in Europa kaum vorstellbar waren. Deshalb auch unsere Bitte: Gehen Sie zur Wahl.“

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