Von allen guten Geistern verlassen

Da reibt Mann sich die Augen und Frau wundert sich: In Zeiten annähernder Vollbeschäftigung und eines zunehmenden Fachkräftemangels fordert die IG Metall für die 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie doch tatsächlich eine Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden pro Woche. Zwar zeitlich befristet auf maximal zwei Jahre, aber mit vollem Rückkehrrecht zur 35-Stunden-Woche. Außerdem sollen die Arbeitgeber in bestimmten Fällen auch noch dafür zahlen, dass ihre Beschäftigten weniger arbeiten. Ja sind die denn jetzt von allen guten ökonomischen Geistern verlassen?

Nehmen wir doch einfach mal an, die Gewerkschaft hätte ihre Forderung durchgesetzt. Wie sähen die möglichen Konsequenzen für ein typisches mittelständisches Maschinenbauunternehmen aus? Unser Beispielunternehmen beschäftigt 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 50 in der Produktion. Hinzu kommen drei Auszubildende. Hergestellt werden hochwertige Maschinen für die Metallbearbeitung. Die Auftragslage ist gut, die Produktionsauslastung liegt bei rund 80 Prozent. Man arbeitet schon seit einiger Zeit an einer Weiterentwicklung der eigenen Produkte. Dadurch soll die Wettbewerbsfähigkeit längerfristig gesichert werden. Auch das Thema Digitalisierung ist im Unternehmen abgekommen. Das alles kostet Geld, das im internationalen Wettbewerb mit einer immer härteren Konkurrenz erst einmal erwirtschaftet werden muss.

In dieser auf den ersten Blick ganz soliden Lage erklären plötzlich sechs Mitarbeiter, vier aus der Fertigung, einer aus der Arbeitsvorbereitung und eine aus der Konstruktion, dass sie nur noch vier Tage pro Woche arbeiten möchten und das die nächsten zwei Jahre lang. Damit fallen fast zehn Prozent der Belegschaft einen ganzen Arbeitstag pro Woche komplett aus. Wie soll das ausgeglichen werden, fragt sich auch die Personalverantwortliche unseres Unternehmens. Sie geht dabei verschiedene Möglichkeiten durch: Erstens könnte sie die verbliebenen Mitarbeiter bitten, die fehlende Arbeitsleistung durch Mehrarbeit auszugleichen. Zweitens könnte sie über eine Zeitarbeitsfirma jemanden einstellen, der diese Aufgaben übernimmt. Drittens bestünde die Möglichkeit, eine zusätzliche Arbeitskraft mit einem zeitlich befristeten Arbeitsvertrag zu verpflichten. In den beiden letztgenannten Fällen müssten aber die passenden Fachkräfte erst einmal gefunden werden. Und für die Konstruktion wäre dies auf Grund der speziellen Fachkompetenz nahezu unmöglich.

Wie entscheidet sich also unser Unternehmen? Nachdem sich die verbliebenen Mitarbeiter dazu bereit erklärt haben, die fehlende Arbeitszeit durch vermehrte Überstunden auszugleichen, scheint dieses Problem zunächst gelöst. Gleiches gilt für die Konstruktion. In beiden Fällen bedeutet das für das Unternehmen aber eine deutliche Steigerung der Personalkosten. Mittelfristig hat man sich deshalb dazu entschlossen, ein eigenes Konstruktionsbüro in Indien zu eröffnen und eventuell später auch eine Fertigung.

Dieses fiktive Beispiel ist von der Realität in den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie gerade in Siegen-Wittgenstein gar nicht so weit entfernt, wie man auf den ersten Blick eigentlich meint. Die hier aufgezeigten Lösungen, die als Konsequenz der von der IG Metall geforderten Arbeitszeitverkürzung durchgespielt wurden, nämlich Mehrarbeit, befristete Beschäftigung und Zeitarbeit, wurden bislang von der Gewerkschaft stets vehement verteufelt. Jetzt werden sie von der gleichen Gewerkschaft praktisch durch die Hintertür notwendig und damit hoffähig gemacht.

Das ist letztlich auch nicht im Interesse der Unternehmen. Deshalb sind die Arbeitgeber ja nach eigener Aussage ebenfalls an einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten in den Betrieben interessiert. Aber nicht einseitig, sondern in gemeinsamer Abstimmung und unter der Prämisse, dass die vorhandene Arbeit auch auftragsbezogen erledigt werden muss. Und familienfreundlich sind die meisten Unternehmen sowieso schon längst. In Siegen-Wittgenstein beispielsweise wird das durch das Siegel „Familienfreundliches Unternehmen“ dokumentiert.

Also liebe IG Metall, lasst doch einfach mal die Ideologie und den gewerkschaftlichen Dogmatismus beiseite und beschäftigt euch mit dem wirtschaftlichen Machbaren in den Unternehmen. Und bitte lasst die Büchse der Pandora zu. Ihr würdet damit dem Flächentarif massiv Schaden zufügen.

Helmut Hofmann

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