Unternehmensruf und Betriebsklima wichtiger als Vergütung und Firmengröße

„Der Lehrstellenmarkt kehrt sich um. Schon in wenigen Jahren werden sich die jungen Schulabgänger ihre Ausbildungsunternehmen aussuchen. Die Firmen müssen sich also noch intensiver mit den Schulabsolventen beschäftigen, wenn sie ihren Fachkräftenachwuchs auch in Zukunft sicher rekrutieren wollen.“ Dies stellte IHK-Hauptgeschäftsführer Franz J. Mockenhaupt bei der Vorstellung einer breit angelegten Studie fest, die sich mit den Erwartungen junger Schulabgänger an ihre Wunsch-Ausbildungsbetriebe befasst.

In den vergangenen drei Monaten befragte die Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) knapp 2000 Schülerinnen und Schüler danach, welche Merkmale ihrer zukünftigen Arbeitgeber für sie wichtig sind, auf was sie bei der Auswahl ihrer Ausbildungsbetriebe achten und wie sie sich über die Unternehmen informieren. Durch die Studie solle die betriebliche Kenntnis über die Jugendlichen von heute deutlich verbreitert werden. Man habe aus dem Befund der Befragung zugleich Handreichungen für die Ausbildungsbetriebe erarbeitet, wie die Firmen bei den jungen Leuten besonders gut “punkten“ könnten. Franz J. Mockenhaupt: „Die Unternehmen müssen sich heute auf junge Leute einstellen, die vielfach anders sind als die Generation vor ihnen. Sie müssen diese jungen Menschen umwerben, sich mit ihnen auseinandersetzen und sich auf sie einlassen. Wie sie dies tun können, wird in unserer Erhebung an zahlreichen Beispielen verdeutlicht.“ Die IHK wende sich mit der Studie in erster Linie an die Ausbildungsunternehmen, aber auch an Firmen, die dies noch werden wollten. Die Schrift könne jedoch auch für die allgemein bildenden Schulen bei deren Aktivitäten im Themenfeld „Übergang Schule/Beruf“ neue Impulse vermitteln.

Für 89 Prozent der Schülerinnen und Schüler ist der Unternehmensruf bei der Wahl des Ausbildungsunternehmens entscheidend. Noch bedeutsamer schätzen die jungen Menschen das Betriebsklima ein (94 Prozent) – ein erstaunlich hoher Wert. Aus den Befragungsergebnissen geht eindeutig hervor, dass die Schülerinnen und Schüler auf alle mit dem allgemeinen Betriebsklima zusammenhängenden weichen Faktoren, also vor allem auf den Umgang des Unternehmens mit seinen Auszubildenden und den ihnen entgegengebrachten Respekt, größten Wert legen. Einen ähnlich hohen Stellenwert nimmt die vermutete Ausbildungsqualität aus Sicht der Schülerinnen und Schüler ein. Je eher die Schulabsolventen den Eindruck haben, in dem relevanten Unternehmen eine Top-Ausbildung zu durchlaufen und gut auf die Prüfungen vorbereitet zu werden, desto eher kommen diese Unternehmen für sie in Betracht. Der Unternehmensruf und das „Klima“ werden damit deutlich wichtiger eingeschätzt als etwa die Identifikation mit den Firmenprodukten (66 Prozent) oder dem Bekanntheitsgrad des Unternehmens (55 Prozent). Wenig bedeutsam aus Sicht der jungen Menschen ist, ob das Unternehmen im Umweltschutz oder bei sozialen Projekten engagiert ist (40 Prozent). Für 88 Prozent der Jugendlichen ist es jedoch wichtig oder sehr wichtig, dass sie vor der Ausbildung ein Praktikum in dem relevanten Unternehmen durchlaufen können. Für über drei Viertel der Jugendlichen ist es sehr wichtig, dass der Betrieb schon während der Ausbildung die weitere Karriere gemeinsam mit ihnen plant. Es erstaunt demgegenüber, wie die jungen Leute die Ausbildungsvergütungen einschätzen. IHK-Geschäftsführer Klaus Gräbener: „Für 73 Prozent ist die Vergütung wichtig oder sehr wichtig. Dies ist zwar ein hoher Wert, es gibt jedoch etliche bedeutsamere Aspekte aus Sicht der Jugendlichen. Mit Geld allein ist es jedenfalls nicht getan. Wenn das Klima nicht stimmt, können Unternehmen junge Menschen auch mit noch so hohen Vergütungen nicht mehr so einfach begeistern wie in früheren Jahren.“

Interessant sind aus Sicht der IHK auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede. Den Schülerinnen sind die weichen Faktoren „Umgang mit Mitarbeitern und Auszubildenden“, „Führung mit Respekt und Menschlichkeit“, „Betriebsklima“, „Teamgeist“ etc. deutlich wichtiger als den Schülern. Letztere schätzen die harten Faktoren wie die Ausbildungsqualität oder die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten als spürbar bedeutsamer ein als die jungen Frauen. Auch bei der Frage nach dem harten Faktor „Ausbildungsvergütung“ geben Schüler höhere Ansprüche an als Schülerinnen – ein wichtiger Hinweis für Firmen, die überwiegend in Berufen ausbilden, in denen entweder ausschließlich junge Frauen oder aber junge Männer ihre Lehre durchlaufen.

Differenzen zwischen den Geschlechtern treten auch beim Informationsverhalten zutage. Fast alle Informationsquellen in Bezug auf die Ausbildungsplatzwahl sind den weiblichen Schülern wichtiger als den männlichen. Klaus Gräbener: „Mädchen recherchieren offenbar eher mehr im Internet, vor allem über dortige Lehrstellenbörsen, finden Praktika wichtiger, fragen eher die Agentur für Arbeit, lesen mehr Zeitungsanzeigen und schätzen Ausbildungs- und Berufsmessen sowie den persönlichen Kontakt zum Ausbildungsbetrieb höher ein als die Jungen.“

Ein weiteres erstaunliches Ergebnis: Die „Facebook-Generation“ setzt nach wie vor auf „tradierte“ Informationsbeschaffungskanäle. Unternehmen, die sich den jungen Menschen zuwenden, sind daher aus Sicht der IHK gut beraten, vor allem über eine aussagefähige und adressatengerechte Homepage zu verfügen und möglichst umfangreiche Chancen für eine persönliche Kontaktaufnahme zu bieten; etwa über zielgerichtete Praktika. Franz J. Mockenhaupt: „Der Ausbau und die Pflege des eigenen Internetauftritts sind von wesentlicher Bedeutung. Die Homepage ist als erstes betriebliches Aushängeschild anzusehen, das die Jugendlichen begeistern oder vergraulen kann. Demgegenüber sollten die Unternehmen deutlich weniger Ressourcen verwenden, um etwa über Twitter, Facebook oder XING entsprechende Informationen anzubieten, zumindest derzeit noch.“ Zudem müsse die eigene Ausbildung als Element einer umfassend verstandenen betrieblichen Personalarbeit begriffen werden, die eigenverantwortliches Handeln und die Wertschätzung in den Mittelpunkt des Ausbildungsalltages stelle. Wer dies beherzige, habe auch im demografischen Wandel gute Möglichkeiten, zukünftig junge Leute für den eigenen Betrieb zu begeistern.

Die IHK stellte in der Befragung ebenfalls schulformspezifische Unterschiede fest. Danach schätzen Hauptschüler vor allem eine gute Ausbildungsstruktur und einen sicheren Arbeitsplatz nach der Ausbildung (94 Prozent). Besonders wichtig ist ihnen zudem ein Praktikum vor der Ausbildung (92 Prozent). Die Praktika sind für sie als Informationsquelle zur Ausbildungswahl wichtiger als die Homepage. Die Ausbildungsvergütung ist für knapp drei Viertel von ihnen ein wichtiger oder sehr wichtiger Faktor. Bei der konkreten Vergütungshöhe ist die Mehrheit aber eher bescheiden. Demgegenüber legen die Realschüler größten Wert auf die Arbeitsbedingungen (98 Prozent). Die Ausbildungsstruktur und der sichere Arbeitsplatz nach der erfolgreichen Ausbildung haben bei ihnen einen ähnlich hohen Stellenwert wie bei den Hauptschülern. Beim Gesamtvergleich der Faktoren geben die Realschüler im Vergleich zu den Hauptschülern in der Tendenz höhere Werte bei den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten an. Auch die Ausbildungsqualität schätzen sie als wichtiger ein. Bei den Gymnasiasten ist das Betriebsklima das Top-Kriterium. 100 Prozent von ihnen schätzen dies als wichtig oder sehr wichtig ein. Mehr geht nicht. Auch in punkto eigenverantwortliches Arbeiten sind ihre Ansprüche deutlich höher als bei den Schülern anderer Schulformen. Demgegenüber spielen Praktika vor der Ausbildung und der sichere Arbeitsplatz nach der erfolgten Lehre keine wesentliche Rolle. Je höher die Vorbildung der Schüler, desto stärker sind die Ansprüche an die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und die Ausbildungsqualität ausgeprägt.

Insgesamt sind nach den IHK-Erkenntnissen die weichen Faktoren wie Führungskultur, Betriebsklima und Wohlfühlfaktoren für die zukünftigen Auszubildenden im direkten Vergleich wesentlicher als die harten Faktoren wie die berufliche Entwicklung, die Ausbildungsqualität, die Vergütung oder die Arbeitsbedingungen. Klaus Gräbener: „Der Spaßfaktor ist bedeutsamer als in früheren Zeiten. Spaß bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass die Jugendlichen nicht arbeiten wollen. Ganz im Gegenteil. Doch sie erwarten, dass die Arbeit abwechslungsreich ist und in einem angenehmen Miteinander stattfindet. Dies sollten die Unternehmen sowohl bei der Ansprache der Nachwuchskräfte als auch bei der konkreten Gestaltung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in besonderer Weise berücksichtigen.“

Broschüre zur Umfrage

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