In der Vergangenheit waren Wahlen zum Europaparlament eher politische Randerscheinungen. Das hat sich gestern grundlegend geändert. Und nicht nur das. Das gesamte politische System in der Bundesrepublik Deutschland wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Die ehemaligen Volksparteien haben massiv an Vertrauen und Zustimmung verloren. Das gilt insbesondere für die Sozialdemokratie. Aber auch die CDU hat die Veränderungen in der Wählerschaft weder erkannt noch programmatisch verstanden. Die altbewährten wahltaktischen Mechanismen greifen nicht mehr, vor allem nicht bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern. Hier konnten die Grünen massive Zugewinne verzeichnen. Die Jugend begehrt auf und die etablierten Parteien haben nicht verstanden, was das für sie bedeutet.

Natürlich kann sich die Politik nicht nur auf ein einziges Thema fokussieren, wie im aktuellen Fall auf den Klimawandel. Dazu sind die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge viel zu komplex. Aber es reicht auch nicht mehr, nur noch Wahlversprechen abzugeben und sie dann nicht einzulösen. Vor dieser Herausforderung werden jetzt auch die Grünen stehen.

Eines hat die Europawahl aber auf jeden Fall gezeigt: die Jungen haben sich auf den Weg gemacht. Und sie nutzen alle Möglichkeiten moderner Kommunikation. Sie der Lächerlichkeit preiszugeben, hat als politische Strategie versagt. Übrigens werden diejenigen, die heute jeden Freitag für den Schutz des Klimas auf die Straße gehen, in wenigen Jahren ebenfalls wählen dürfen. Man darf auf das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl 2021 gespannt sein.

Europa jedenfalls gehört zu den eindeutigen Gewinnern dieser Wahl. Eine Wahlbeteiligung von über 60 Prozent hat es bislang noch nicht gegeben. Die Menschen wollen, dass es mit Europa weitergeht. Sie wollen weniger Streit und mehr konstruktive Lösungen. Sie wollen weniger Parteitaktik, sondern mehr Entscheidungen zugunsten einer positiven Weiterentwicklung. Die Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten wird zeigen, ob die Politiker das auch verstanden haben.

Helmut Hofmann