Petra Schneider ist seit 18 Jahren bei der SIEGENIA GRUPPE in Wilnsdorf-Niederdielfen beschäftigt. Sie arbeitet als Maschinenbedienerin in der Fertigung von Fensterbeschlägen. Vor zwei Jahren ereilte sie ein Schicksalsschlag, der auch viele von uns hätte treffen können. Sie erkrankte schwer und konnte dadurch längere Zeit nicht mehr arbeiten.

Petra Schneider ist nach einer schweren Erkrankung über eine Eingliederungsmaßnahme an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt.
Inzwischen steht sie wieder an ihrem angestammten Arbeitsplatz. „Seit Januar 2019 konnte ich durch eine Eingliederungsmaßnahme meine Tätigkeit schrittweise wieder aufnehmen.“ Dabei habe sie durch ihre Kolleginnen und Kollegen sowie durch das Unternehmen sehr viel Unterstützung erfahren. Aufgrund ihrer Erkrankung, die immer noch behandelt werden muss, ist sie inzwischen als schwerbehindert eingestuft. Ihr Arbeitsplatz wurde angepasst, sodass sie ihre Arbeit immer noch erledigen kann. Üblicherweise wird in diesem Fertigungsbereich bei SIEGENIA im Schichtbetrieb gearbeitet, auch nachts. Das braucht Petra Schneider nicht: Das übernehmen ihre Kolleginnen und Kollegen für sie.
Der Arbeitsplatz von Florian Augustin hat sich ebenfalls verändert. Der gelernte Werkzeugmechaniker und Industriemeister ist im Prüfbereich von SIEGENIA tätig und kümmert sich unter anderem um die Qualitäts- und Funktionsprüfungen von Fensterbeschlägen. Dazu gehören Dauertests, Dichtheits- und Validierungsprüfungen. 2011 rettete ihm die Anwesenheit an seinem Arbeitsplatz praktisch das Leben. Florian Augustin litt an einem Aneurysma. Dabei handelte es sich um eine Schwachstelle an der Aorta, die plötzlich aufgerissen ist und zu einer anschließenden bleibenden Schädigung führte. Eine akut lebensbedrohliche Situation: „Meine Kollegen haben gehandelt, erste Hilfe geleistet und sofort den Rettungsdienst verständigt. Ohne ihr Eingreifen und spontanes Handeln wäre ich womöglich heute nicht mehr hier.“ Sein Leben konnte gerettet werden, auch weil es bei SIEGENIA in allen Abteilungen qualifizierte Ersthelfer gibt, die regelmäßig geschult werden.

Florian Augustin ist schwerbehindert und darf keine schweren Lasten heben. Deshalb hat das Unternehmen eine Hebehilfe angeschafft, mit der auch schwere Türen und Fenster auf die Prüfstände gebracht werden können.
Nach einem halben Jahr kehrte er über eine Wiedereingliederungsmaßnahme an seinen Arbeitsplatz zurück. Florian Augustin ist heute schwerbehindert und darf beispielsweise keine schweren Lasten mehr heben. Deshalb hat das Unternehmen eine Hebehilfe angeschafft, mit der auch schwere Türen und Fenster auf die Prüfstände gebracht werden können. Das ist nicht nur für ihn, sondern auch für seine Kollegen eine Erleichterung und verringert den Zeitaufwand bei der Prüfungsvorbereitung.
Diese Beispiele zeigen zweierlei: Zum einen sind die Ursachen einer Schwerbehinderung in den überwiegenden Fällen die Folge von Erkrankungen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag der Wert 2017 bei annähernd 89 Prozent. Über 70 Prozent der Menschen mit einer Schwerbehinderung sind zudem qualifizierte Fachkräfte, 17 Prozent sogar mit Führungsverantwortung.
Zum anderen fördern viele Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Siegen-Wittgenstein auch die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung, Gleichstellung oder schweren Erkrankung. Die SIEGENIA GRUPPE ist nur ein Beispiel, wenn auch ein bemerkenswertes. Das mittelständische Familienunternehmen, das 2014 sein 100-jähriges Bestehen feiern konnte, beschäftigt in Wilnsdorf an zwei Produktionsstandorten rund 970 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter 60 Auszubildende. Produziert werden dort Fensterbeschläge, Lüftungsgeräte und elektromechanische Antriebe für die Gebäudetechnik. Die Fertigung ist inzwischen stark automatisiert. Die Arbeitsplätze sind modern und ergonomisch. Der Anteil von Menschen mit Behinderung in der Belegschaft liegt bei rund 5 Prozent. Am Standort Hermeskeil sind es knapp 6 Prozent und bei der KFV Karl Fliether GmbH & Co. KG, einem Tochterunternehmen in Velbert, sogar über zehn Prozent. Darüber hinaus arbeitet SIEGENIA an allen drei Standorten mit betreuenden Werkstätten zusammen und vergibt dorthin Montageaufträge. Die AWO Siegener Werkstätten in Netphen-Deuz erhalten beispielsweise Montagearbeiten im sechsstelligen Bereich. Auch das schafft Beschäftigung für Menschen mit einem Handicap.
„Auch wenn wir natürlich die Wirtschaftlichkeit immer im Auge behalten müssen, sind wir trotzdem bestrebt, Menschen mit einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung eine Perspektive zu bieten“, unterstreicht Hans-Georg Kämpfer, Personalleiter bei SIEGENIA. Dazu nutze man auch die Unterstützungsmöglichkeiten, die beispielsweise von der Agentur für Arbeit, dem Amt für Inklusion oder dem Arbeitsmedizinischen Zentrum angeboten werden.
Dass das Unternehmen eine Menge tut, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung zu unterstützen und ihnen den Arbeitsplatz zu erhalten, bestätigt auch Dirk Kubosch. Er ist Betriebsratsmitglied und Schwerbehindertenbeauftragter bei dem Familienunternehmen. „Die Unterstützung ist da, auch wenn es oft mit Aufwand verbunden ist.“ Geschäftsleitung und Personalverantwortliche hätten stets ein offenes Ohr für die Belange der Schwerbehinderten.
Im kommenden Jahr wartet eine weitere Herausforderung auf das Unternehmen. Eine Praktikantin mit einer 80-prozentigen Sehbehinderung wird ihre Arbeit aufnehmen. „Wir werden den Arbeitsplatz so herrichten, dass sie dort sehr gut arbeiten kann. Im kaufmännischen Bereich wird das ein Pilotprojekt werden“, so Hans-Georg Kämpfer.
Zum Hintergrund:
Schwerbehindert nach dem Schwerbehindertenrecht ist ein Mensch, dessen Grad der Behinderung (GdB) mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate wenigstens 50 Prozent beträgt und der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX (Sozialgesetzbuch IX: Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) hat. Unternehmen mit durchschnittlich mindestens 20 Beschäftigten sind gesetzlich verpflichtet, auf mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Kommt der Arbeitgeber der Beschäftigungspflicht nicht nach, ist eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Sie kann bis zu 320 Euro pro Arbeitsplatz betragen.
In den meisten Fällen, in denen Unternehmen die Ausgleichsabgabe zahlen, fehlt es nicht am Willen, Menschen mit einer Schwerbehinderung zu beschäftigen. Gerade kleinere Unternehmen tun sich oft schwer damit, weil sie unsicher sind, was auf sie zukommt und wie sie mit den Schwerbehinderten umgehen sollen. „Einer grundlegenden Bereitschaft, Menschen mit Behinderung einzustellen, steht eine weit verbreitete Unsicherheit gegenüber, wie man den besonderen Bedürfnissen der potenziellen Mitarbeitenden im betrieblichen Alltag gerecht werden kann“, sagt beispielsweise Christoph Metzler vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Gemeinsam mit der Aktion Mensch hat das Kofa deshalb einen Ratgeber erarbeitet, der Vorbehalte abbauen und Unternehmen Hilfestellungen an die Hand geben soll. Der Ratgeber kann im Internet unter der Adresse: https://www.kofa.de/dossiers/inklusion-gestalten/wegweiser-inklusion-im-betrieb heruntergeladen werden.
Text und Bilder: Helmut Hofmann
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