gehe. „Schließlich braucht Wirtschaft Planungssi- cherheit und Perspektiven“, so der Vorsitzende. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen zeigte Gün- ther H. Oettinger das gegenwärtige weltpolitische Machtgefüge auf. Auf der einen Seite China, das sich auf den Weg gemacht hat, politisch, wirtschaftlich, technologisch aber auch in der Forschung und bei Innovationen weltweit führend zu werden. Hieran lasse die Rede von Chinas Staatspräsident Xi Jinping zum 100. Geburtstag der regierenden kommunisti- schen Partei der Volksrepublik China, keinen Zweifel. Auf der anderen Seite stehe mit Joe Biden ein kluger und erfahrener US-Präsident, der außenpolitisch „America first“ verfolge. Deutschland und Europa lägen „im Sandwich“ mit- tendrin. Um in dem Zusammenhang herauszustellen, wo wir zukünftig, etwa im Jahr 2050, überhaupt ste- hen wollten, brauche es eine Strategie bzw. eine Vi- sion. „Der Weg zu 2050, der von China vorgezeichnet wird, ist kürzer als im Rückspiegel der Weg zurück zum Fall der Berliner Mauer“, erläuterte der Referent und bescheinigte eine schwierige Ausgangslage. „Beispielsweise verzeichneten die USA zuletzt ein konjunkturelles Wachstum von 6,5 Prozent und China eines von 8,5 Prozent. In Deutschland liegt es bei ge- rade einmal 2,1 Prozent. Das zeigt: Wir bleiben weit unter unseren Möglichkeiten!“ Deutschland und Europa fielen seit Jahren immer weiter zurück; glei- ches gelte auch für Innovation, Forschung und Bil- dung in Europa: „Von den 50 besten Universitäten weltweit befindet sich keine einzige in der Europäi- schen Union!“ Deshalb sei es entscheidend, den eu- ropäischen Forschungsraum zu stärken und die Forschungsprogramme auszubauen. Günther H. Oettinger plädierte auch dafür, ein größe- res Augenmerk auf berufliche Qualifikationen und Weiterbildung zu richten. „Angebote von Sozialpart- nern, den Kammern der Wirtschaft, Verbänden und beruflichen Schulen stehen dabei an erster Stelle!“ Der Klimaschutz betreffe Deutschland und Europa gleichermaßen. Aber es gelte zu sehen: Deutschland sei nur für zwei Prozent aller Treibhausgase in der Welt verantwortlich, die USA hingegen für 15 Prozent und China für 30 Prozent. Strom in der Menge, die benötigt werde, sei nicht verfügbar. Dabei nehme der Bedarf aktuell stetig zu: Batterieelektrische Mobilität und Wärme im Haushalt sind nur zwei der Beispiele, die Günther H. Oettinger anführte. Erschwerend hinzu komme, dass Strom nicht speicherbar ist und Wasserstoff auch in naher Zukunft noch keine Alter- native sei. Daher lägen die umweltpolitischen Ambi- tionen Deutschlands und Europas weit entfernt von der Realität. Ein anderer wichtiger Aspekt, den Günther H. Oettin- ger ansprach, betrifft vor allem den Außenhandel. „Noch immer ist die EU mit ihren Partnern für 22 Pro- zent der Weltproduktion, des Sozialprodukts – Hän- dearbeit, Kopfarbeit, Vermögensanlage – verantwort- lich“, sagte er. „Die Grenzen innerhalb Europas sind weitestgehend verschwunden. Die Welt wächst und Europa schrumpft“, hob Günther H. Oettinger hervor. Daher seien auch Handelsabkommen mit anderen Ländern so wichtig. Darüber hinaus sprach der Gast- redner das Thema Inflation in Europa an. „Wir haben aktuell 4,5 Prozent Inflation, worüber es zwar eine De- batte unter Wissenschaftlern gibt, aber nicht in der Öffentlichkeit.“ Die Inflation müsste aber nach Oettin- gers Auffassung jeden Bürger genauso interessieren, wie das Klima. Damit Deutschland und Europa nicht weiterhin „im Sandwich“ zwischen den USA und China verblieben, müsse die Europäische Union stärker werden. „Nur mit mehr gemeinsamen Entscheidungen in Brüssel, Straßburg und Luxemburg haben wir eine Chance, uns aus dieser Situation zu befreien“, hob der Refe- rent hervor. „Unser Anspruch sollte daher sein, auf Augenhöhe mit anderen auf der Weltbühne unter- wegs zu sein.“ Andernfalls drohe, dass weltweit gül- tige Normen im chinesisch-pazifischen Raum gesetzt würden und europäische Werte an Attraktivität ein- büßten. „Dabei ist es wichtig, diese Werte für unsere Kinder und Enkelkinder zu erhalten! Dies gelingt dann am besten, wenn wir sie selbst überzeugend leben“, be- tonte Günther H. Oettinger. „Wir müssen wirtschaft- lich stark bleiben, damit die Welt uns folgt und nicht umgekehrt.“ Weiterhin betonte Oettinger: „Europa ist eine Hoffnung für uns alle, wenn man den europäi- schen Gedanken stärkt. Wenn man zum Beispiel von der Politik in Düsseldorf und Berlin erwartet, dass auch nationale Amts- und Mandatsträger europäisch dächten.“ Probleme sollten daher nicht europäisiert und Erfolge nicht nationalisiert werden. 21