Stimme der Marktwirtschaft stärken

_MG_9977„Nach der Agenda 2010: Notwendige Reformen für den Standort Deutschland“, lautete das Thema einer Vortragsveranstaltung der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein, die am 29. April 2015 im Haus der Siegerländer Wirtschaft in Siegen stattfand. Gastredner war Florian Gerster, ehemaliger Minister für Arbeit, Soziales, Familien und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz sowie ehemaliger Vorsitzender des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit.

Als engagierter Sozialdemokrat hat er maßgeblich an der Umsetzung der Agenda 2010 in den Jahren ab 2003 mitgewirkt. „Damals war es nötig, durch einen Rückschnitt die Auswüchse unserer Sozialsysteme wieder auf ein funktionales Maß zurückzuführen. Anstelle eines umfassenden Versorgungssystems haben wir das Prinzip Fördern und Fordern eingeführt.“ Gerster zeigte sich überzeugt davon, dass diese Reformen wesentlich dazu beigetragen haben, dass Deutschland heute wirtschaftlich so gut dasteht. „Die Agenda 2010 erforderte viel Mut von der damaligen Regierung Schröder. Angela Merkel erntet heute die Erfolge, ohne mutig gewesen zu sein.“

Deutliche Kritik übte Gerster an den Vertretern einer europaweiten Verelendungstheorie. „In der Europäischen Union leben heute sieben Prozent der Weltbevölkerung. Diese sieben Prozent produzieren 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und verbrauchen 50 Prozent der weltweiten Sozialleistungen. Da kann von Verelendung wirklich keine Rede sein, selbst nicht in Griechenland.“ Allerdings verwies er auch auf die Gefahren, die mit derart hohen Sozialleistungen verbunden sind. Zusammen mit der enormen Wirtschaftskraft würden sie dafür sorgen, dass die Bereitschaft für notwendige Reformen in der Politik nur noch schwach ausgeprägt sei. „So lange es uns gut geht, hat die Stimme der Marktwirtschaft keine Resonanz.“ Deshalb müssten wir alle dazu beitragen, dieser Stimme wieder verstärkt Gehör zu verschaffen.

Deutschland habe nun wirklich keinen Grund zum Klagen. „Wir haben eine hohe Wirtschaftsleistung, eine stabile mittelständische Industrie und eine geringe Arbeitslosigkeit. Unser berufliches Bildungssystem ist vorbildlich. Und entgegen allen Pessimisten in Sachen demografischer Wandel erleben wir eine Nettozuwanderung von gut qualifizierten Menschen, die dazu beitragen, unsere sozialen Sicherungssysteme stabil zu halten. Auch die Verteilungsungerechtigkeit ist bei uns im internationalen Vergleich relativ niedrig.“

Als eine der größten sozialen Ungerechtigkeiten in Deutschland bezeichnete Gerster die kalte Progression. Sie gehöre abgeschafft. „Ich kann nicht verstehen, warum die Politik hier nicht aktiv wird, obwohl die Steuerquellen kräftig sprudeln.“ Auch die Rente mit 63 ist für Florian Gerster ein Ding der Unmöglichkeit, ebenso wie das Betreuungsgeld. Hier würden Leistungsträger der Wirtschaft vorzeitig aus dem Erwerbsleben verabschiedet oder erst gar nicht einbezogen. „In einer Gesellschaft, die immer älter wird und in der immer weniger Kinder geboren werden, können wir einen immer längeren Ruhestand auf Dauer nicht finanzieren. Wie soll das gehen? Und was machen diese Pensionäre dann eigentlich?“ Dazu brachte Gerster ein Beispiel von Volkswagen. Dort habe man vor Jahren im Rahmen einer Arbeitszeitverkürzung feststellen müssen, dass die regionalen Handwerksbetriebe plötzlich viel weniger Aufträge bekamen. Gleichzeitig schossen die Umsatzzahlen der Baumärkte in die Höhe. „Viele Menschen wollen weiter aktiv sein und tun das dann auch als Rentner mit 63. Deshalb ist aus meiner Sicht eine Flexirente viel sinnvoller als dieses staatliche Frühverrentungsmodell.“

Schließlich ermutigte Florian Gerster die zahlreich erschienenen Zuhörer dazu, stärker Einfluss auf ihre politischen Vertreter zu nehmen, um notwendige Reformen auf den Weg zu bringen und die Prinzipien der Marktwirtschaft wieder stärker in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. „Die Politik handelt in der Regel pathologisch. Krisen müssen erst groß genug sein, dass sie von allen erkannt werden, bevor die Politiker aktiv werden. Lassen Sie es nicht so weit kommen.“

Große Zustimmung zu seinen Ausführungen fand Florian Gerster auch bei Dipl.-Ing. Jörg Dienenthal. Der Vorsitzende der Unternehmerschaft Siegen-Wittgenstein und des VdSM Verband der Siegerländer Metallindustriellen e.V. hatte schon in seiner Begrüßungsansprache den Finger in einige Reformwunden gelegt. Dabei kritisierte er auch den zunehmenden Verlust an ökonomischer Vernunft bei der IG Metall. „Der letzte Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie hat gezeigt, dass sich die IG Metall vom Grundprinzip des Flächentarifs als Mindeststandard immer weiter entfernt. Das ist aus unserer Sicht eine ernste Gefahr für die Tarifpartnerschaft in Deutschland.“ Auch die Bundesregierung habe kräftig daran mitgewirkt, die Tarifautonomie zu schwächen. „Die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes, über den zukünftig Parlamentarier entscheiden und nicht mehr die Tarifpartner, ist ein deutlicher Tabubruch.“

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